„Wer schnell eine Therapie benötigt, soll sie schneller bekommen“
Über die Reform des Psychotherapeutenausbildungsgesetzes und seine Vorteile für Patientinnen und Patienten sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Interview mit Tobias Schmidt, Neue Osnabrücker Zeitung vom 27.02.2019.
Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ): Herr Spahn, in Ihren knapp zwölf Monaten als Bundesgesundheitsminister haben Sie viele Akteure im Gesundheitswesen gegen sich aufgebracht. Ärzte, Apotheker, Kassen: Haben Sie schon einen Lieblingsgegner?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Nein, darum geht es auch nicht. Wir haben zwar eines der besten Gesundheitssysteme. Trotzdem läuft vieles nicht so, wie es sollte. Ich will Verbesserungen für die Patienten erreichen, dafür muss ich etwas ändern. Und dafür muss man den ein oder anderen Konflikt in Kauf nehmen.
Ihnen wird vorgeworfen, neue Hürden für die Behandlung psychisch Kranker einbauen zu wollen.
Das Gegenteil ist richtig. Wer schnell eine Therapie benötigt, soll sie schneller bekommen. Dafür muss die Versorgung besser koordiniert und strukturiert werden.
Wie wollen Sie dafür sorgen?
Psychisch kranke Menschen dürfen nicht durchs System irren, bevor sie Hilfe bekommen. Ihre ersten Anlaufstellen - ob Hausarzt, Psychotherapeut, Suchtberatungsstelle oder Familiendienst – müssen besser zusammen arbeiten. Deshalb beauftragen wir den Gemeinsamen Bundesausschuss, die Behandlung besser zu strukturieren und zu koordinieren. Die Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenkassen und Kliniken ist jetzt am Zuge.
Sind Sie angesichts des Protestes eingeknickt?
Wir haben nach einer intensiven Debatte entschieden, die Reform nicht im Rahmen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) anzugehen, sondern mit dem Psychotherapeuten-Ausbildungsgesetz. Der Entwurf dafür geht am heute ins Kabinett. Der Gesetzgebungsprozess startet. Und parallel dazu führen wir unsere Gespräche mit den Psychotherapeuten und Ärzten. Die Therapeuten haben die Sorge, wir wollten ein Gutachtersystem aufbauen oder sogar Ärzte wieder über die Notwendigkeit von Psychotherapie entscheiden lassen. Aber diese Sorge ist völlig unbegründet.
Das Gremium der Selbstverwaltung – der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – ist mächtig sauer auf Sie, weil Sie selbst bestimmen wollen, welche Behandlungen die Kassen ersetzen müssen. Ist der Gesundheitsminister kompetenter als die Akteure?
Der G-BA leistet sehr gute Arbeit. Aber manchmal dauert es fünf, acht oder zehn Jahre, bis entschieden ist, was von den Krankenkassen übernommen wird. So lange können Patienten nicht warten. Deswegen schlage ich eine Frist von zwei Jahren vor. Gibt es dann noch immer keine Einigung, dann entscheidet der Gesundheitsminister gemeinsam mit dem Bundesrat, was mit entsprechenden Leistungen passiert.
Die Kassen warnen, sie müssten am Ende für Behandlungen zahlen, deren Nutzen oder Risiken nicht ausreichend getestet sind.
Das ist Unfug. Es geht um Fälle, in denen sich die Akteure gegenseitig blockieren oder gar nicht entscheiden wollen, wie etwa bei der Behandlung des Lipödem. Für zahllose Patienten ist das ein riesiges Problem. Deswegen müssen wir handeln. Ich bin gewählt worden, um zu entscheiden. Und nicht, um Verantwortung auf andere abzuwälzen. Das würde auch zu Frust und Vertrauensverlust der Betroffenen führen. Nichts tun ist für mich keine Option.
Nach dem Groko-Kompromiss zum Werbeverbot für Abtreibungen bleiben Informationen über Kosten oder Methode der Eingriffe verboten. Warum?
Wir helfen Frauen in einer schwierigen Lage, verlässliche Informationen von neutraler Stelle zu bekommen. Die sollen dann auf der Seite der Bundesärztekammer zu finden sein. Die Beratungsstellen haben ebenfalls die Listen. Es bleibt aber dabei: Ärzte dürfen nicht für Abtreibungen werben. Damit haben wir eine kluge und klare Abgrenzung möglich gemacht. Wer zurzeit im Internet nach Abtreibungsmöglichkeiten sucht, stößt auf viele Fehlinformationen. Künftig gibt es Informationen, auf die sich Frauen verlassen können. Das ist ein wichtiger Schritt.
Betroffenenvertreter klagen, die Kompetenz der Ärzte, die abtreiben, sei nicht immer sichergestellt.
Das ist ein Problem, in der Tat. Frauen müssen sicher sein können, dass den Eingriff nur jemand vornimmt, der das auch kann. Deswegen hat das Kabinett mein Ministerium beauftragt, bis Ende des Jahres Vorschläge zu entwickeln, wie wir das Thema der Qualitätsanforderungen an die durchführenden Ärzte lösen können.
Beim Pflegenotstand warten die Betroffenen seit Langem auf Abhilfe. Wann werden die ersten der 13 000 zusätzlichen Stellen besetzt, die Sie versprochen haben?
Das ist Sache der jeweiligen Pflegeeinrichtung. Aber der Weg dafür ist frei. Anträge können sie bereits seit 1. Januar stellen. Und in den Krankenhäusern wird jede neue Pflegekraft finanziert, und viele Kliniken nutzen dies bereits. Es geht voran. Auch wenn das große Problem bleibt, Fachpersonal für die neuen Stellen zu finden. Aber auch daran arbeiten wir: Wir stocken die Ausbildungsplätze auf, wir schaffen Anreize für Berufsrückkehrer, wir wollen Pflegekräfte besser bezahlen und neue aus dem Ausland anwerben.
Mehr und besser bezahlte Pfleger: Das treibt die Kosten hoch. Schon jetzt sehen sich viele Pflegebedürftige oder deren Familien finanziell überfordert. Braucht es eine Obergrenze für die Eigenbeteiligung für Heimpflege?
Momentan nicht. Denn die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter denjenigen, die in Heimen gepflegt werden, ist in den vergangenen Jahren absolut und relativ gesunken. Aber es stimmt natürlich, wenn die Kosten weiter steigen, werden wir uns überlegen müssen, wie wir das finanzieren. Dafür gibt es drei Möglichkeiten: Steuerzuschüsse einführen, den Beitragssatz oder den Eigenanteil anheben. Klar ist, dass nicht jede Kostensteigerung in Zukunft aus der Pflegeversicherung bezahlt werden kann. Die Beiträge sind gerade erst um 0,5 Prozentpunkte gestiegen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Lasten fair verteilt werden.
Ist es fair, dass sich wegen der Beitragsbemessungsgrenze Spitzenverdiener prozentual gesehen deutlich geringer an der Pflegefinanzierung beteiligen als Kleinverdiener?
Die Bemessungsgrenze wird jedes Jahr angehoben. Auch diejenigen, die knapp darüber liegen, zahlen einen hohen Anteil an Beiträgen. Diese Gruppe noch stärker zu belasten, ohne dass es dafür mehr Leistungen gäbe, führt nicht weiter.
Ihr erstes Jahr als Minister geht zu Ende. Die Akteure im Gesundheitswesen und die Fachpolitiker stöhnen über Ihre Daueraktivität. Haben Sie es so eilig, weil die Koalition bald platzen könnte – und Sie dann etwas vorweisen wollen?
Noch einmal: Gesundheitspolitik ist weder ein Spiel, noch ein Selbstzweck. Bei notwendigen Verbesserungen für die Patienten kann man nicht trödeln. Auf vielen Gesundheits-Baustellen geht es seit Jahren nicht voran. Es ist genug diskutiert worden. Jetzt muss entschieden werden. Mein Antrieb ist es, die Probleme zu lösen. Und ich setzte darauf, dass noch drei Jahre lang weiter zu machen.
Schwarz-Rot wackelt nicht?
Die Große Koalition liefert. Pflege, Rente, Innere Sicherheit, mehr Polizei, mehr Geld für Verteidigung, Pakt für Justiz: all das gehen wir an. Das zählt für mich. Parallel dazu müssen die Parteien unterscheidbar sein. Gut regieren und zugleich ein klares Profil zeigen, das ist eine schwierige Balance. Mein Eindruck ist: Union und SPD werden darin besser.
Kaum hat die Union mit ihrem Werkstattgespräch ihr Profil in Sachen Migrationspolitik geschärft, bändelt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer im Doppel-Interview mit Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt an. Wie passt denn das zusammen?
Da wird etwas zu viel hinein interpretiert. Ich habe mal ein Doppel-Interview mit Gregor Gysi gegeben, ohne eine Koalition mit der Linkspartei vorzubereiten (lacht). Aber im Ernst: Gemeinsam sprechen, das ist richtig. Klar ist aber auch: Koalitionen werden aufgrund von Inhalten geschlossen. Und insbesondere bei den sicheren Herkunftsstaaten verweigern die Grünen seit Jahren eine pragmatische Lösung und verhindern, dass wir das Recht schneller durchsetzen.
Kramp-Karrenbauer wirbt für Pragmatismus gegenüber den Grünen…
Da gehe ich mit. Gleichzeitig müssen wir als CDU klar machen, wo wir uns unterscheiden. Beim Klimaschutz etwa, da geht es um einen klugen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie. Wir wollen das Klima schützen und unseren Wohlstand erhalten. Letzteres vergessen die Grünen zu häufig. Das müssen wir deutlich machen, denn es gehört zur Auseinandersetzung dazu.