Lauterbach: „In der Gesundheitspolitik stehen wir vor einem Herbst der Reformen“

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach kündigte in seiner Rede zum Bundeshaushalt 2025 für das Gesundheitssystem einen „Herbst der Reformen“ an: „Wir haben eine hohe Sterblichkeit in Deutschland und große Unterschiede in der Lebenserwartung von Arm und Reich. Dem wollen wir mit Strukturreformen begegnen.“

12. September 2024

Als Maßnahmen verwies Lauterbach auf die Krankenhausreform, das Medizinforschungsgesetz, Entbürokratisierung in Arztpraxen, Digitalisierung durch beispielsweise die Einführung der elektronischen Patientenakte und ein neues Konzept für die Pflege bzw. für pflegende Angehörige.

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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Gesundheitspolitik stehen wir vor einem Herbst der Reformen, Reformen, die wir von langer Hand vorbereitet haben. Diese Reformen sind sehr wichtig, und sie betreffen die gesamte Gesellschaft. Wenn wir überlegen, wer in den nächsten Jahren von unseren Reformen betroffen sein wird, stellen wir fest: Es werden fast alle sein. Wir erwarten allein 16 Millionen Menschen, die einen Krankenhausaufenthalt für eine stationäre Versorgung benötigen. Wir gehen davon aus, dass wir 1 Milliarde Arztbesuche in der Praxis haben. Allein die Zahl der Pflegebedürftigen ist im letzten Jahr um 400 000 Menschen gestiegen. Somit ist das Gesundheitssystem für die Lebensqualität der Menschen und für die Daseinsvorsorge von allergrößter Bedeutung. Es gibt kaum einen Bereich, der in das Leben der Menschen so eingreift wie Gesundheitsreformen, wie die Gesundheitsversorgung.

Hier haben wir einen unmittelbaren Handlungsbedarf. Ich würde sagen: Unser Gesundheitssystem ist in einer Notlage. Wieso ist das so?

Zunächst einmal: Wir haben eine sehr hohe Sterblichkeit. Dies hat sich über die letzten Jahre aufgebaut. In den letzten zehn Jahren hat sich unsere Sterblichkeit im westeuropäischen Vergleich stetig verschlechtert. Deutschland hat die höchste Sterblichkeit in ganz Westeuropa.

Die Lebenserwartungsunterschiede zwischen Reich und Arm sind besonders hoch: bei Männern acht Jahre und bei Frauen sechs Jahre. Diese hohe Sterblichkeit und diese großen Unterschiede in der Lebenserwartung von Reich und Arm, das können wir nicht so lassen.

Das ist für uns eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Das ist nur mit echten Strukturreformen zu schaffen, nicht mit Bagatellreformen und noch weniger mit dummen Sprüchen.

Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Reformen, die jetzt notwendig sind, über Parteipolitik hinausgehen. Ich lade die Opposition wirklich dazu ein, diese Reformen mit uns zu gestalten.

Wir können es nicht so lassen.

In der Digitalisierung zum Beispiel ist Deutschland ein Entwicklungsland. Seit 20 Jahren ist es uns nicht gelungen, die elektronische Patientenakte einzuführen.

Das werden wir im Januar und im Februar des nächsten Jahres schaffen. Wir werden einen Digitalisierungssprung erreichen. Wir haben das elektronische Rezept schon eingeführt. Die Digitalisierung, die wir jetzt einführen, ist dringend notwendig. Ohne diese Digitalisierung werden wir den Übergang in ein modernes Gesundheitssystem nicht schaffen. Wir sind jetzt dabei, das umzusetzen. 20 Jahre hat es gedauert, jetzt kommt es endlich.

Wir haben auch seit mittlerweile mehr als 20 Jahren komplizierte Hausarztbudgets, Arzneimittelregresse und Quartalspauschalen, die zum Teil noch aus der Zeit der Praxisgebühr kommen. Das ist eine unerträgliche Bürokratie in unseren Arztpraxen. Das schaffen wir ab, indem wir die Hausärzte entbudgetieren, wie wir es bei den Kinderärzten schon gemacht haben. Wir schaffen den Arzneimittelregress weitestgehend ab. Wir befreien uns von der Quartalspauschale und werden die Praxen damit endlich - das ist überfällig - deutlich entbürokratisieren. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne.

Wir werden auch die Forschung verbessern. Forschung hat etwas mit der Qualität der Versorgung zu tun, nicht nur zukünftig, sondern auch jetzt. Wenn ein Mensch mit einer schweren Krebserkrankung austherapiert ist und alle verfügbaren Therapien nicht gewirkt haben, dann ist oft die letzte Hoffnung die Forschung, die Teilnahme an einer Studie, bei der etwas ausprobiert wird, was helfen kann, was aber noch nicht zugelassen ist. Die Frauen und Männer in Dänemark haben in dieser verzweifelten Situation eine zehnfach höhere Wahrscheinlichkeit, an einer solchen, oft lebensrettenden Studie teilzunehmen. Das ändern wir durch das Medizinforschungsgesetz. Wir wollen, dass auch in Deutschland die Menschen, die für ihr blankes Überleben auf die Forschung angewiesen sind, Zugang zu dieser Forschung bekommen - eine längst überfällige Reform.

Lassen Sie mich sagen: Auch die Krankenhausreform ist längst überfällig. Diese Reform hätte eigentlich schon vor 20 Jahren vorbereitet werden müssen. Es gibt eine Ökonomisierung unserer Krankenhäuser, die dazu geführt hat, dass wir zu viel stationär machen, dass wir erhebliche Qualitätsdefizite haben, gerade in der Krebsversorgung, und dass wir gleichzeitig die Krankenhäuser in die Situation gebracht haben, dass selbst dringend notwendige Krankenhäuser Angst haben, ob sie über die Runden kommen. Die meisten Krankenhäuser sind entweder defizitär oder fürchten Defizite.

Mit der Krankenhausreform werden wir die Krankenhäuser, die wir benötigen, gerade auf dem Land, mit Vorhaltepauschalen auf eine solide Finanzierungsebene bringen. Wir werden die Spezialisierung zum Wohle der Patienten, insbesondere der Krebspatienten, voranbringen und geben die Sicherheit in das System, dass nicht wieder ökonomische Anreize die Medizin determinieren, sondern dass sich die Menschen, die Pflegekräfte, die Ärzte darauf verlassen können, dass das, was gemacht wird, medizinisch indiziert ist und nicht durch ökonomische Anreize, die falsch sind, überlagert wird.

Wir haben darüber hinaus auch in der Pflege großen Reformbedarf; diesen gehen wir an.

Auch hier ist alles liegen geblieben. Wir brauchen in der Pflegeversicherung die Situation, dass ältere Menschen nicht Sorge, Not oder Angst haben, dass sie sich im Alter die Pflege nicht leisten können, weil die Eigenbeteiligung zu hoch ist. Das müssen wir überwinden. Wir müssen auch überwinden, dass pflegende Angehörige von diesem System ausgenutzt werden, indem sie keine ausreichende Kompensation für die Leistung bekommen, die wir dringend benötigen. Wir müssen eine solide Finanzierung der Pflegeversicherung vorlegen. Auch das wird in diesem Herbst geschehen. In wenigen Wochen werden wir ein großes Pflegekonzept vorlegen, das sich mit der Eigenbeteiligung, der Finanzierung der Pflege, der besseren Struktur der Pflege, insbesondere auch der Stärkung der Angehörigen intensiv auseinandersetzt. Das ist eine wichtige Reform, die liegen geblieben ist, wie vieles, was wir jetzt diskutieren.

Lassen Sie es mich klipp und klar sagen - wir werden es ja gleich von der Opposition hören -: Die Beitragssätze stehen unter Druck; das ist richtig. Die Beitragssätze stehen unter Druck, weil die Strukturreformen ausgeblieben sind. Aber das ist kein Thema für Parteipolitik; denn zum Schluss müssen wir ja nach vorne blicken. Ohne die großen Strukturreformen, die wir jetzt durchführen, wäre nur eine einzige Möglichkeit geblieben, die Beitragssätze in den Griff zu bekommen, nämlich indem wir Leistungen kürzen.

Aber wir können nicht die Bürger haftbar machen, indem wir Leistungen kürzen, nur weil die Politik es nicht geschafft hat, Strukturreformen zu machen. Diese Strukturreformen kommen jetzt.

Lassen Sie mich ganz klar sagen: In der Gesundheitspolitik funktioniert die Ampel. Ich weiß, dass es heute modern und billig ist, über die Ampel herzuziehen.

Aber wir haben schon 15 wichtige Gesetze auf den Weg gebracht und sind jetzt mit acht Gesetzen im parlamentarischen Verfahren.

Das ist, glaube ich, die größte Gesetzesdichte im parlamentarischen Verfahren überhaupt. Wenn wir diesen Herbst der Reformen gemeinsam hinter uns haben, dann wird unser Gesundheitssystem in einer viel besseren gesundheitlichen Verfassung sein als jetzt. Ich danke daher allen, die da mitmachen, lade die Opposition ein, hier nicht zu schmollen und sich nicht auf Floskeln zurückzuziehen, sondern mitzuziehen. Es ist ein wichtiger Herbst der Reformen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

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