Einsatz hybrider KI-Sprachtechnologien zur Qualitätssteigerung in der medizinischen Versorgung (HYKIST)
Ressortforschung im Handlungsfeld „Digitalisierung“, Förderschwerpunkt „Digitale Innovationen“
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Motivation
In Deutschland leben ca. 21 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund. Verständnisprobleme bei der medizinischen Versorgung zwischen Patientinnen und Patienten sowie dem medizinischen Personal aufgrund von Sprachbarrieren stellen für alle Beteiligte eine besondere Herausforderung dar und erhöhen das Risiko für Behandlungsfehler und ineffektivere Präventionsmaßnahmen. Nach aktuellem Stand sind die Ärztinnen und Ärzte in der Interaktion mit den zu Behandelnden ohne gemeinsame Sprache auf Dolmetschende angewiesen. Übersetzungsdienste auf Basis der künstlichen Intelligenz (KI) erzielen in diversen Anwendungsbereichen wie beispielsweise der Alltagssprache bereits eine gute Übersetzungsqualität. Die Anwendung von KI im Übersetzungsdienst im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung von nichtdeutschsprachigen zu behandelnden Personen kann zu einer verbesserten Therapie beitragen.
Ziele und Vorgehen
Ziel des HYKIST Projektes ist die Entwicklung eines hybriden Gesamtsystems, das die menschliche Übersetzungsleistung mit einer KI-basierten Übersetzungslösung kombiniert, um die medizinische Versorgung von nichtdeutschsprachigen Patientinnen und Patienten durch verbesserte Kommunikation zu erhöhen. HYKIST soll Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern bei der Übersetzung von komplexen medizinischen Sachverhalten und Fachtermini während des Arzt-Patienten-Gespräches unterstützen. Technologien aus der automatischen Spracherkennung und maschinellen Übersetzung sollen hierzu angewandt werden, die mit einem Dialogsystem zur Erstanamnese gekoppelt und in eine Telekonferenzplattform zur Unterstützung im Übersetzungsprozess integriert sind. Nahezu in Echtzeit soll dann ein Übersetzungsvorschlag präsentiert werden. Dazu wird das System im Klinikalltag getestet, um die Chancen und Herausforderungen einer Mensch-Maschine-Interaktion zu identifizieren und mögliche Fallstricke im Praxiseinsatz zu beheben.
Perspektiven für die Praxis
Eine fehlerbehaftete Kommunikation in der medizinischen Versorgung kann zu Unter- und Fehlversorgung, geringerer Versorgungsqualität, erhöhter Rate an Behandlungsfehlern und ineffektiveren Präventionsmaßnahmen führen. Zudem erzeugt sie bei allen Beteiligten Unzufriedenheit. Vor dem Hintergrund dieser sprachlich bedingten Herausforderungen können bedarfsgerechte, jederzeit verfügbare und hochqualitative Dolmetschdienstleistungen von zentraler Bedeutung sein und zu einer Verbesserung der Versorgungssituation beitragen. Über die in dem Projekt adressierten Zielsprachen Vietnamesisch und Arabisch hinaus wird die Erweiterbarkeit der HYKIST-Plattform um neue Sprachen wie z. B. Türkisch, Polnisch oder Russisch angestrebt. Auch Anwendungen in der Intensivmedizin oder Katastrophenmedizin sind denkbar.
Ergebnisse
Für die Durchführung der klinischen Studie wurde ein stabiles Gesamtsystem entwickelt und den Anwendungspartnern bereitgestellt. Das HYKIST-System - von der Datenquelle, über die automatische Spracherkennung und maschinelle Übersetzung bis hin zur Benutzerschnittelle der HYKIST-App – wurde erfolgreich erarbeitet und getestet. Insgesamt konnten mit dem HYKIST-System 170 Trialoge durchgeführt werden (davon 111 im Sana Klinikum Lichtenberg und 59 im Universitätsklinikum Köln). Die Erkennungsrate für die drei in HYKIST bearbeiteten Sprachen Arabisch, Ukrainisch und Vietnamesisch betrug ca. 75%. In zukünftigen Arbeiten könnte durch die Optimierung der Sprachmodelle und maschinellen Übersetzung die Fehlerquote auf ca. 10% reduziert werden. Die Herausforderung für die maschinelle Übersetzung im HYKIST-Projekt war, Systeme zu trainieren, die direkt zwischen den relevanten Sprachen übersetzen ohne die Verwendung einer Pivot-Sprache, das heißt ohne aus der Originalsprache eine „Brückensprache“ zu erzeugen, die dann erst in einem zweiten Schritt in die Zielsprache übersetzt wird. Insbesondere Sprachdialekte waren in den Trainingsdaten des Spracherkennungssystems deutlich unterrepräsentiert. Wichtig für die Zukunft ist auch, die automatische Erkennung wichtiger Gesprächsinhalte für die Sprachmittlerinnen und Sprachmittler direkt und leicht erfassbar darzustellen, damit diese für die Vermittlung im Arzt-Patient-Gespräch hervorgehoben werden kann.
Verwertung
Die im HYKIST-Projekt entwickelten Komponenten von Fraunhofer FOKUS können für eine Vielzahl weiterer Anwendungsfälle nutzbar gemacht werden, z.B. in der Katastrophenmedizin oder für multilinguale Erste-Hilfe-Informationen im Alltag. Ein Folgeprojekt zur psychiatrisch-psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten wurde bereits als Skizze formuliert. Ebenso bieten sich Anschlussprojekte auf dem Gebiet der echtzeitbasierten Sprachverarbeitung in der medizinischen Versorgung an. Vor dem Hintergrund dieser sprachlich bedingten Herausforderungen können bedarfsgerechte, jederzeit verfügbare und hochqualitative Übersetzungsdienstleistungen von zentraler Bedeutung sein und zu einer Verbesserung der Versorgungssituation beitragen. Es wird nachhaltig an der Weiterentwicklung und Nutzung von Sprachassistenzsystemen gearbeitet. Der Erkenntnisgewinn aus dem Projekt wird mittels Öffentlichkeitsarbeit aber auch Mitarbeit in unterschiedlichen Gremien, z. B. im Rahmen der Arbeits-gruppe „KI-basierte Sprachassistenz“ bestehend aus mehreren Fraunhofer-Instituten, an Dritte weitervermittelt. Durch das Mitwirken der Firma AppTek im Projekt können die entwickelten Komponenten auch durch andere Interessierte weiterverwendet werden.
Fakten zum Projekt
Projektleitung
Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme FOKUS
Dr. Michael John
Kaiserin-Augusta-Allee 31
10589 Berlin
Projektlaufzeit
01.10.2020 bis 31.12.2023
Das Projekt ist Teil des Förderschwerpunkts „Digitale Innovationen für eine patientenzentrierte Gesundheitsversorgung“.
Projektbeteiligte
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Triaphon gGmbH
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RWTH Aachen
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Apptek GmbH
Projektwebseite
https://www.innovationszentrum-telehealth.de/go/hykist
Ansprechperson
Jacqueline Kalb
DLR Projektträger
projekttraeger-bmg(at)dlr.de
Weitere Informationen
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