Sensorgestützte Telepsychotherapie für Kinder und Jugendliche (SSTeP-KiZ)
Ressortforschung im Handlungsfeld „Digitalisierung“, Förderschwerpunkt „Digitale Innovationen“
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Motivation
Kinder und Jugendliche mit Zwangsstörungen haben ein hohes Risiko chronisch zu erkranken. Aus diesem Grund ist eine entsprechende frühzeitige Therapie nötig, um die psychosoziale Entwicklung der Patientinnen und Patienten nicht zu gefährden. Bei der wissenschaftlich etablierten Expositionstherapie werden die Kinder und Jugendlichen mit den symptomauslösenden Reizen konfrontiert und ein anschließendes Reaktionsmanagement durchgeführt. Da diese Reize oft im häuslichen Umfeld auftreten und die Therapie begleitet durchgeführt werden sollte, kommt es häufig zu schwierigen Versorgungssituationen. Im Rahmen des Projekts „Smarte Sensorik bei Telepsychotherapie von Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen“ (SSTeP-KiZ) sollen die Versorgungsmöglichkeiten mithilfe telemedizinischer Lösungen und Sensorik verbessert werden.
Ziele und Vorgehen
Ziel des Projekts ist es, die telepsychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch den Einsatz von Sensoren zu verbessern. Mithilfe der so gewonnenen Daten sollen die Therapeutin oder der Therapeut unterstützt und die Therapien individueller angepasst werden können. Die betrachteten Daten umfassen physiologische Daten – wie etwa Herzfrequenzvariabilität, Hautleitfähigkeit und Pupillometrie – sowie Bewegungs- und visuelle Daten (darunter Bilderfassung und Eye-Tracking). Die erfassten Daten werden noch am Ort der Datenaufnahme zusammengeführt, anschließend an das Universitätsklinikum übertragen und dort mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens ausgewertet. Beispiele hierfür sind die automatische Feststellung von Stressreaktionen durch Künstliche Intelligenz (KI) oder das ebenso KI-basierte Erkennen von symptomauslösenden Reizen. Die so aufbereiteten Daten werden der Therapeutin oder dem Therapeuten in Echtzeit rückgemeldet, sodass die gewonnenen Informationen direkt in der jeweiligen Therapiesitzung genutzt werden können. Außerdem erhalten die Patientinnen und Patienten durch eine geeignete Visualisierung therapeutische Rückmeldung zu den gesammelten Daten und dem Verlauf ihrer Therapie. Auch Selbstberichte der Kinder und Jugendlichen, ihrer Angehörigen sowie der Therapierenden sollen in das System einfließen. Abschließend sollen die sensorgestützte Telepsychotherapie an Patientinnen und Patienten getestet und die Ergebnisse evaluiert werden.
Perspektiven für die Praxis
Im Rahmen des Projekts liegt der Fokus auf der Behandlung von Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Bei Erfolg ist mit einer verbesserten Versorgung und gesteigerten Effizienz der Therapie zu rechnen. Sie kann gezielter auf die Bedürfnisse der zu behandelnden Personen angepasst werden, ist somit leichter alltagsnah und regelkonform umzusetzen und kann in ihrer Laufzeit verkürzt werden. Die gewonnenen Erkenntnisse bezüglich Erfassung, Zusammenführung, Auswertung und therapeutischer Anwendung entsprechender Daten können auch auf andere Problemstellungen in der Medizin übertragen werden. Beispielsweise ist zu erwarten, dass sich die Erkenntnisse auch auf die Behandlung von Angststörungen übertragen lassen. Außerdem kann die sensorgestützte Telepsychotherapie potenziell auch bei Erwachsenen angewendet werden, wenn sie entsprechend angepasst wird. Der Ausbau von telemedizinischen Angeboten schafft die Möglichkeit, Zugangsschwierigkeiten, die beispielsweise durch lange Anfahrtswege entstehen, zu minimieren und somit den Zugang zu individuell abgestimmten Therapien für die breite Bevölkerung zu vereinfachen.
Ergebnisse
Die sensorgestützte Telepsychotherapie kam bei 20 Patientinnen und Patienten im Alter von 12 bis 18 Jahren über jeweils 14 Therapiesitzungen zum Einsatz. Es wurden physiologische Daten –etwa Herzrate, Herzratenvariabilität und Pupillometrie – sowie Bewegungs- und visuelle Daten (darunter Bilderfassung und Eye-Tracking) betrachtet. Diese Daten wurden am Ort der Aufnahme zusammengeführt, anschließend an das Universitätsklinikum übertragen und dort mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens ausgewertet. Die so aufbereiteten Daten wurden der Therapeutin oder dem Therapeuten in Echtzeit rückgemeldet, sodass die gewonnenen Informationen direkt in den jeweiligen Therapiesitzungen genutzt werden konnten. Im Projekt konnte gezeigt werden, dass der multimodale Ansatz eine robuste Detektion von Stresssituationen im häuslichen Alltag der Patientinnen und Patienten ermöglicht. Darüber hinaus ergaben die Analysen, dass auch das Blickverhalten der Patientinnen und Patienten das Stresslevel während der Expositionstherapie widerspiegelt und als objektiver Indikator des Therapieverlaufs dient. Die abschließende Evaluation belegte einen signifikanten Rückgang der Zwangssymptomatik sowie eine gute Handhabung der verschiedenen Sensorkomponenten. Der Großteil der Patientinnen und Patienten sowie der Eltern würden diese Form der Behandlung weiterempfehlen.
Verwertung
Die Ergebnisse von SSTeP KiZ zeigen, dass eine sensorgestützte Psychotherapie sowohl technisch machbar als auch wirksam ist und von den Patientinnen und Patienten gut angenommen wird. Des Weiteren erbrachte die Verwendung maschineller Lernverfahren bei der Datenanalyse erste bedeutsame Erkenntnisse. Die gewonnenen Erkenntnisse können auch auf andere Problemstellungen in der Medizin übertragen werden, z. B. für die Behandlung von Angststörungen. Außerdem kann die sensorgestützte Telepsychotherapie potenziell auch bei Erwachsenen angewendet werden, wenn sie entsprechend angepasst wird. Der Ausbau von telemedizinischen Angeboten schafft die Möglichkeit, Zugangsschwierigkeiten, die beispielsweise durch lange Anfahrtswege entstehen, zu minimieren und somit den Zugang zu individuell abgestimmten Therapien für die breite Bevölkerung zu vereinfachen.
Fakten zum Projekt
Projektleitung
Universitätsklinikum Tübingen
Psychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie
im Kindes- und
Jugendalter
Prof. Dr. Tobias Renner
Osianderstraße 14
72076 Tübingen
Projektlaufzeit
01.04.2020 bis 31.03.2023
Projektbeteiligte
- Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
- Eberhard Karls Universität Tübingen
- Universität Hohenheim
Das Projekt ist Teil des Forschungsschwerpunkts „Digitale Innovationen“ für die Verbesserung der patientenzentrierten Versorgung im Gesundheitswesen.
Ansprechperson
Dr. Mario Paterno
DLR Projektträger
projekttraeger-bmg(at)dlr.de
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