Lauterbach: "Zum besten Krankenhaus für den jeweiligen Notfall"
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach sprach mit der Rheinischen Post zu den verschiedenen Reformen im Bereich Krankenhaus, Notfall, Organspende und Cannabis.
Rheinische Post: Herr Lauterbach, regen Sie sich in der Debatte um die Krankenhausreform auch so über die Länder auf wie die sich über Sie?
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: Bund und Länder kämpfen beide für dasselbe Ziel: eine gute Krankenhausversorgung in ganz Deutschland ohne Insolvenzwellen und ineffiziente Doppelstrukturen sowie eine bessere Qualität in der Versorgung von Schwerkranken, z.B. mit Krebsdiagnosen. Das ist ambitioniert und deshalb braucht es die Debatte.
Sind die Länder schuld an Krankenhausinsolvenzen, weil sie Ihrem Transparenzgesetz noch nicht zugestimmt haben, in dem sechs Milliarden Euro an Hilfsgeldern stecken?
Mit dem Transparenzgesetz können Insolvenzen in diesem Jahr abgewendet werden. Und die große Krankenhausreform wird einen ökonomischen Kampf um das blanke Überleben der Krankenhäuser in den nächsten Jahren genauso vermeiden. Dieses Gesetz ist aber riesig. Es ist die größte Krankenhausreform seit mehr als 20 Jahren und muss rechtzeitig kommen. Trotzdem bin ich optimistisch: Die Finanzsituation der Krankenhäuser wird sich verbessern. So können wahrscheinlich die meisten Insolvenzen, die bereits heute angemeldet worden sind, noch abgewendet werden.
Indem die Länder im Vermittlungsausschuss am 21. Februar Ihrem Gesetz doch noch zustimmen?
In der Tat. Stimmen die Länder im Februar zu, können somit die Kassengelder noch in diesem Jahr fließen. Daher bin ich zuversichtlich, dass das Transparenzgesetz am 22. März den Bundesrat passieren wird.
Was stimmt Sie so zuversichtlich? Was werden Sie anbieten?
Ich kann dem Vermittlungsausschuss nicht vorgreifen. Aber nochmal: Uns eint dasselbe Ziel. Einige Länder – nicht alle - haben nur etwas an der Reihenfolge meiner Gesetze auszusetzen. Diese Länder wollen erst dann die Qualität ihrer Krankenhäuser veröffentlichen, wenn die ganze Reform umgesetzt ist. Das ist für viele Patienten zu spät. Und wir machen schnell mit der Reform. Das große Finanzierungsgesetz soll am 24. April ins Kabinett kommen.
Mit dem Transparenzgesetz sollen etwa Krebspatienten sich künftig die beste Klinik aus einem Register heraussuchen können. Was aber machen Notfallpatienten, bei denen es schnell gehen muss?
Auch er profitiert. Wer mit einem Herzinfarkt oder Schlaganfall vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht wird, kann künftig darauf vertrauen können, dass der Krankenwagen zum besten Krankenhaus für den jeweiligen Notfall fährt.
Heute ist das anders?
In manchen Städten sollte man einen Schlaganfall nur zu einer bestimmten Uhrzeit an bestimmten Wochentagen bekommen, weil dann die richtigen Teams in der geeigneten Klinik Schichtdienst haben. Manchmal fahren Krankenwagen heute an gut geeigneten Krankenhäusern vorbei zu weniger guten. Einfach nur, weil das andere Krankenhaus gerade dran ist mit Anlieferungen. Das darf künftig nicht sein.
Was ist also zu tun?
Mit der Notfallreform, die auch noch in diesem Jahr von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden soll, wollen wir klare Regeln für die Notdienste schaffen und die Rettungsstellen entlasten, indem wir die Hausarztpraxen stärken und nahe an den Krankenhäusern ambulante Behandlungen anbieten. Heute sitzen zu viele Patienten in den Rettungsstellen, die da nicht sein müssten, weil es etwa am Wochenende für sie schwierig ist, Alternativen zu finden und z.B. in einer Arztpraxis behandelt zu werden.
Wann kommt die von Ihnen angekündigte Entbudgetierung für Hausärzte?
Das dafür notwendige Gesetz wollen wir noch in diesem Jahr verabschieden. Die Hausärzte fordern das seit Jahren, ich verstehe ihre Ungeduld. Aber wir entlasten in diesem Gesetz auch die Praxen von viel Bürokratie.
Die Fachärzte dürfen damit aber nicht rechnen, oder?
Wir wollen mit weiteren Regelungen noch in diesem Jahr erreichen, dass Patienten beim Facharzt schneller einen Termin bekommen.
Eine andere Reform, die hohe Wellen schlägt, ist die Cannabis-Reform, die nächste Woche im Bundestag verabschiedet werden soll. Wird das klappen, trotz Gegenwehr aus der SPD-Fraktion?
Ja, die große Mehrheit trägt die Reform mit. Alle sehen, dass die bisherige Cannabis-Politik gescheitert ist. Wir haben eine steigende Zahl an jugendlichen Konsumenten, unsichere Produkte und Beimengungen. Wachsende Drogenkriminalität, fast 200.000 Strafverfahren wegen Cannabis. Wir verfolgen nun eine Enttabuisierung und Vorbeugung durch Aufklärung. Besonders machen wir deutlich, wie schädlich Cannabis für das wachsende Gehirn ist. Die Legalisierung führt zu einer Entkriminalisierung und qualitativ saubereren Produkten. Davon bin ich überzeugt. In Kanada etwa ist der Anteil der kiffenden Jugendlichen seit der Legalisierung nicht gestiegen. In Colorado gesunken.
Die Sorge von Eltern, Medizinern und Rechtspolitikern aber ist doch, dass die Entkriminalisierung zu einer Normalität und nicht zu einer Vermeidung des Konsums führt, auf welche die Gesellschaft nicht vorbereitet ist. Diese Argumente können Sie damit nicht entkräften.
Wir stellen Cannabis ohne die negativen Einflüsse des Schwarzmarkts zur Verfügung und das auch nur in sehr eingeschränktem Umfang. Wenn schon konsumiert wird, dann lieber aus einer Genossenschaft mit sauberem Cannabis als über den Dealer. Ich erwarte, dass der Schwarzmarkt mit der Cannabis-Reform stark zurückgehen wird. Das zeigen die Erfahrungen aus den anderen Ländern.
Was passiert, wenn die Länder die Umsetzung verweigern?
Das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig. Man kann die Umsetzung verweigern, aber wenn es ein Bundesgesetz ist, dann gibt es einen Rechtsanspruch darauf. Menschen könnten den legalen Konsum einklagen und werden es wohl zur Not auch tun.
Rechnen Sie auch mit einer Verfassungsklage gegen die Legalisierung?
Ja, davon gehe ich aus. Aber das Gesetz wird gerichtsfest sein. Das Justizministerium hat intensiv am Gesetz mitgewirkt. Nach achtzehn Monaten wird es eine Überprüfung zum Bereich der Jugendlichen geben, nach zwei Jahren eine Überprüfung des gesamten Gesetzes. Und das Mindeststrafmaß für den regelhaften Verkauf an Jugendliche wird auf zwei Jahre erhöht. Es gibt keine Bewährung mehr, die Überwachung wird gestärkt. Mit diesen Regelungen bin ich überzeugt, dass eine Klage in Karlsruhe keine Aussicht auf Erfolg hätte.
Beim Thema Organspende hinkt Deutschland hinterher, eine Widerspruchslösung ist im Bundestag gescheitert. Was tun Sie?
Das digitale Organspende-Register wird am 18. März nun endlich an den Start gehen. Es wird den Organspende-Mangel nicht sofort beheben, aber es ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Die Eintragung erfolgt völlig freiwillig, hilft aber den Kliniken, schneller zu handeln. Grundsätzlich ist aber die Widerspruchslösung der einzige Weg, den Mangel wirklich zu beheben. Ich hoffe, dass noch in dieser Legislaturperiode erneut ein Antrag aus dem Parlament heraus im Bundestag beraten wird. Wenn es so kommt, schließe ich mich einem Antrag zur Widerspruchslösung NATÜRLICH an.
Die Ampel streitet munter weiter, die Fliehkräfte sind stark. Können Sie den Frust der Menschen verstehen?
Ich gehe fest davon aus, dass wir die gesamte Legislaturperiode in der Ampel zusammen bleiben und gemeinsam arbeiten werden. Das müssen wir auch, dafür sind wir gewählt worden. Es gibt noch viel zu tun, weil in den Jahren vor 2021 sehr viel liegengeblieben ist. Ich würde mir wünschen, dass wir konsequent und ohne Streit an der Modernität des Landes arbeiten. Wir sind zum Erfolg verpflichtet - auch im Gesundheitsbereich. Wir müssen das System fit machen für die Zeit, da die Babyboomer älter und kränker werden. Die Gesundheitsversorgung der Babyboomer hängt an den vielen Reformen, die wir gerade machen.
Würden Sie sich über eine Neuauflage der Ampel freuen?
Ja, dafür werbe ich. Die Ampel könnte die fortschrittlichste Koalition sein, die es in Deutschland geben kann. Ich setze voll auf die zweite Halbzeit der Ampel. So schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass wir eine weitere Wahlperiode als Ampel regieren können. Im Bereich Gesundheit arbeiten wir gemeinsam sehr viel auf, etwa bei der Digitalisierung, zur Entwicklung des Pharmastandorts, bei der Vorbeugemedizin. Bisher haben wir keinen Streit in der Ampel über diese Themen.