Lauterbach: "Wir wollen die Klinik um die Ecke erhalten."
Im Interview mit der Mediengruppe Bayern spricht Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach über seine Pläne für die Krankenhausreform, ihre Auswirkungen für ländliche Regionen und die Rolle der Bundesländer.
Mediengruppe Bayern: Ende 2022 haben Sie die Reformvorschläge der Krankenhaus-Kommission vorgelegt, im Sommer sollen die Eckpunkte kommen, dazwischen gibt es sechs Austausch-Runden mit den Ländern und diverse andere Termine zum Thema wie den Krankenhausgipfel diese Woche. Das klingt ziemlich zermürbend. Wie oft reagieren Sie sich mit Tischtennisspielen ab?
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: Ich spiele derzeit wenig, weil ich nicht dazu komme. Die Arbeit steht im Vordergrund, darunter die Krankenhausreform. Es ist richtig, daran konzentriert zu arbeiten. Das tue ich, das tun die Ländern.
Die Länder, vor allem die unionsgeführten, gehen Sie hart an. Für die sind Sie derjenige, der ein bis jetzt funktionierendes System zerstört. Was erwidern Sie?
In der Praxis arbeiten wir gut zusammen, auch Bayerns Gesundheitsminister Holetschek ist da keine Ausnahme. Aber Bayern befindet sich nun mal im Wahlkampf, da ist manche öffentlichkeitswirksame Kritik eingepreist. In Wahrheit sehen allerdings auch die unionsgeführten Länder die Notwendigkeit einer Reform. Wir geben zu viel Geld für durchschnittliche Qualität aus. Manche Krankenhäuser müssen sogar Behandlungen anbieten, für die sie nicht spezialisiert sind. Die Finanzierungslogik der Fallpauschalen zwingt sie dazu. Das wollen Bund und Länder gemeinsam ändern. Wir sehen alle, welche fatalen Folgen es hat, wenn das Geld die Behandlung zu stark mitbestimmt. Krankenhäuser behandeln heute zu viele Fälle, die Qualität leidet häufig darunter, und damit die gesamte Versorgung. Wir brauchen einen Neuanfang.
Doch die Länder scheinen bei Ihren Ideen der Level-Gliederung von Kliniken nicht mitzugehen.
Doch, ich bin mir sicher, dass wir da zusammenkommen. Die Länder fürchten, dass der Bund ihnen die Standortplanung oder die Haushaltsplanung für die Krankenhäuser wegnimmt. Das stimmt aber nicht, die Eingliederung der Kliniken in die drei Level – die wohnortnahe Grundversorgung, eine zweite Stufe mit weiteren Angeboten und die Maximalversorger-Häuser – machen die Länder. Jetzt geht es darum, die Kriterien für die Level auszuarbeiten. Da steckt eine intensive Diskussion über Qualität dahinter, deswegen wird es nicht einfach. Ich begrüße aber das angekündigte Rechtsgutachten der unionsgeführten Länder, denn ich möchte mit offenem Visier unterwegs sein. Die Länder müssen wissen, woran sie sind.
Was kommt auf die Menschen besonders in ländlichen Regionen zu, wenn es keine Reform gibt?
Ohne Reform müssten viele Kliniken dichtmachen. Bereits jetzt ist die Lage dramatisch. Viele Kliniken im ländlichen Raum schon heute insolvenzgefährdet, aus demografischen Gründen gibt es weniger Fälle, die Kliniken können die Betten und das Personal nicht mehr vorhalten. Durch die Reform würde die Versorgung besser werden, denn durch die dann geschaffene Vorhaltepauschale können Betten, Geräte, aber eben auch Spezialisten für die Behandlung gehalten werden.
In Bayern fürchten die Menschen, dass Sie ihnen die Klinik vor der Haustür wegnehmen. Im Landkreis Rottal-Inn soll es nach den ersten Entwürfen keine Geburtsstation mehr geben.
Es gibt keine Entwürfe, die ein konkretes Krankenhaus gefährden würde. Das ist reine Panikmache. Im Gegenteil: Es geht bei unseren Plänen genau darum, die „Klinik vor der Haustür“ zu erhalten. Wenn wir uns auf eine Reform einigen, bestimmen weiterhin die Länder, welche Klinik was macht. Geburtskliniken wird es deshalb immer in erreichbare Nähe geben. Einen Landkreis ohne dieses Angebot zu planen, würden die Länder nie zulassen. Die Versorgung mit Krankenhäusern in Bayern ist gut, durch die Reform würde sie noch besser werden. Denn statt vieler Krankenhäuser, die ein ähnliches breites Spektrum zu behandeln, um zu überleben, werden Kompetenzen dieser Krankenhäuser zukünftig gebündelt. Die Menschen werden mehr Qualität bekommen.
Auch wenn sie dafür weiter fahren müssen?
Für die Notfallversorgung bleibt das Krankenhaus um die Ecke erhalten. Komplizierte Eingriffe sollten wir aber an spezialisierten Standorten konzentrieren. Wie das konkret geschieht, entscheidet dann die jeweilige Landesregierung. Auch die Staatskanzlei in München wird entscheiden, ob sie ein Krankenhaus in Level 1 einordnet oder ob sie es so aufrüstet, dass es Level-2-Leistungen erbringen kann. Ich sehe hier große Möglichkeiten – besonders in ländlichen Regionen. Das Ziel ist es, Level-2-Krankenhäuser auch auf dem Land zu haben, was derzeit häufig nicht der Fall ist. Ich will einfach eine höherwertige Versorgung. Für eine spezielle Krebsbehandlung ist es aber wichtig, dass die Menschen das dafür am besten aufgestellte Krankenhaus aufsuchen, da machen auch längere Wege Sinn.
Ihnen wird von der CSU vorgeworfen, Sie blickten vom Elfenbeinturm der Ballungsräume aus auf die ländlichen Regionen. Stimmt das?
Ich komme selbst vom Land, um das mal klarzumachen, und kenne die ländliche Region sehr gut. Ich fühle mich sehr damit verbunden. Aber wir müssen das ganze Land im Blick behalten – und das tun wir mit der Reform.
Wie wollen Sie vermeiden, dass durch die Einwände der Länder aus Ihrer Reform ein Reförmchen wird?
Zentral ist die Diskussion über die Leistungsgruppen, weil darüber die Qualität definiert wird. Jedes Krankenhaus in Deutschland kann dann anhand dieser Gruppen bewertet werden, sodass gleiche Maßstäbe in jedem Bundesland für die Häuser gelten. Das werden wir hinbekommen – da bin ich sicher.
Was steckt hinter den Leistungsgruppen?
Der Kerngedanke ist, dass Qualität belohnt wird. Es ist ein Unterschied ob man alle Krankenhäuser gleich bezahlt, zum Beispiel wenn sie eine internistische Abteilung haben. Oder ob man die Spezialisierung einzeln abrechnet. Etwa wenn eine kardiologische Abteilung zusätzlich über die Möglichkeit verfügt, Vorhofflimmern mit modernen Methoden zu behandeln.
Was geben Sie den Ländern mit auf den Weg, wenn es um die Stabilisierung der Krankenhäuser geht? Herr Gaß von der Krankenhausgesellschaft warnt vor einem 15-Milliarden-Defizit am Ende des Jahres.
Ich gehe nicht von dieser Größenordnung aus, aber tatsächlich sind die Krankenhäuser in einer schwierigen Lage. Es würde helfen, wenn die Länder die Investitionskosten tragen würden, die die Häuser dringend brauchen. Das bemängle ich, da muss mehr Geld mobilisiert werden. Beim nächsten Krankenhausgipfel werden wir uns auch darüber unterhalten müssen, wie wir den Kliniken helfen, bis die Reform greift.