Lauterbach: „Planen eine groß angelegte Initiative für Menschen mit Long Covid“
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach im Interview mit der Zeitung RHEINISCHE POST über den aktuellen Umgang mit dem Corona-Virus und Long Covid sowie die Pläne zur Krankenhausreform
RHEINISCHE POST: Herr Lauterbach, Sie waren von Anfang an der Chef-Warner in der Corona-Pandemie. Legen Sie diese Rolle nun ab mit dem Übergang zur Endemie?
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: Es geht nicht um mediale Rollenbilder, sondern darum zu sagen, was ist…: Die Verbreitung des Corona-Virus hat bei uns das endemische Stadium erreicht. Das bedeutet, dass die Wellen nicht mehr so gefährlich sind und wir künftig mit unterschiedlichen Varianten des Virus umgehen müssen. Es bleiben natürlich Restrisiken. Und darüber müssen wir selbstverständlich aufklären. Aber nicht jede Aufklärung ist auch immer eine Warnung.
Was bereitet Ihnen weiter Sorgen?
Es ist beispielsweise nicht garantiert, dass sich das Virus nicht doch noch einmal in eine gefährlichere Variante wandelt.
Wie wollen Sie das in den Griff bekommen?
Wichtig bleiben eine gute Kontrolle und Überwachung. Maßgeblich dafür ist die Überprüfung von positiven PCR-Tests nach neuen Varianten. Auch das Abwassermonitoring muss weiterhin stattfinden, um einen Überblick über die Verbreitung des Virus zu behalten.
Welche anderen Risiken sehen Sie?
Es ist bedenklich, was wir bei Menschen beobachten, die mehrere Corona-Infektionen gehabt haben. Studien zeigen mittlerweile sehr deutlich, dass die Betroffenen es häufig mit einer Immunschwäche zu tun haben, deren Dauer wir noch nicht kennen. Das kann ein Risikofaktor für die Entstehung von chronischen Erkrankungen sein, angefangen bei Herz-Kreislauf-Problemen bis hin zur Demenz. Wie gesagt, das ist noch nicht sicher, wird intensiv erforscht. Ich verfolge die Studien und diskutiere mit Experten. Das zeigt: Wenn jemand nach zwei Infektionen ein stark gealtertes Immunsystem hat, ist es ratsam, dass er weitere Covid-Infektionen vermeidet.
Die Maskenpflicht in medizinischen Einrichtungen gilt noch bis zum 7. April. Werden Sie diese verlängern?
Zum jetzigen Zeitpunkt muss die Maskenpflicht in solchen Einrichtungen beibehalten werden. Die meisten Menschen, die in Hausarzt- oder Facharztpraxen behandelt werden, sind älter und leiden unter chronischen Erkrankungen. Sie gilt es zu schützen. Wenn die Fallzahlen stabil niedrig bleiben oder noch weiter runtergehen, können wir die Lage vor dem 7.April neu bewerten.
Ab welchem Wert wären Sie für eine Abschaffung aller Maskenpflichten?
Es geht um die Lageeinschätzung, nicht um einzelne Werte. Momentan ist es dafür jedenfalls zu früh. Wir haben noch fünfstellige Fallzahlen und eine besorgniserregende Übersterblichkeit. Die lag im Dezember bei 18.000 Menschen, viele davon sind wahrscheinlich an den Folgen von Corona gestorben.
Die Karnevalsfeiern stehen vor der Tür. Machen Sie sich Sorgen, wenn die Leute dort keine Maske tragen?
Im vierten Karneval mit Corona sollten die Menschen das Risiko mittlerweile kennen. Insbesondere älteren Leuten empfehle ich, vorsichtig zu sein, um Infektionen zu vermeiden.
Was wünschen Sie sich von den Veranstaltern?
Beim Oktoberfest in München haben wir gesehen, wie man es nicht machen sollte. Ich appelliere daher an die Veranstalter von Karnevalssitzungen, dass sie Tests anbieten, so dass alle Menschen getestet in die Veranstaltung gehen. Das ließe sich über mobile Testeinheiten leicht bewerkstelligen. Für die Veranstalter ist das erschwinglich und schafft deutlich mehr Sicherheit.
Wie viele Menschen leiden nach Ihren Erkenntnissen mittlerweile unter Long Covid?
Wir gehen davon aus, dass ein relevanter Anteil derjenigen, die nach einer Corona-Infektion erkrankt sind, mit Long-Covid-Symptomen zu kämpfen haben. Schätzungen gehen von 5 bis 10 Prozent aus. Das bedeutet für den einzelnen häufig einen harten Schicksalsschlag und kann sogar für den Arbeitsmarkt relevant werden, wenn die Anzahl der Erkrankten weiter steigt.
Wie wollen Sie den Menschen mehr Unterstützung zukommen lassen?
Wir planen eine groß angelegte Initiative für Menschen mit Long Covid. Beispielsweise wird zeitnah eine Hotline in meinem Ministerium eingerichtet. Sie soll als Anlaufstelle dienen für Menschen, die auf der Suche nach Informationen zu Long Covid sind.
Wie wollen Sie dabei vorgehen?
Die Menschen haben viele Fragen und häufig unspezifische Erkrankungen, darum ist es wichtig, dass wir ihnen eine Informationsplattform anbieten, die das bisherige Wissen bündelt, über den aktuellen Forschungsstand informiert und u.a. zu Diagnostik und neuen Therapieansätzen Auskunft gibt.
Bislang steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen. Was tun Sie?
Mein Haus will die sogenannte Versorgungsforschung künftig mit 100 Millionen Euro fördern. Die Grundlagenforschung liegt im Zuständigkeitsbereich des Bundesforschungsministeriums. Bei der Versorgungsforschung geht es um die Frage, was das optimale Versorgungskonzept für Menschen mit Long Covid ist. Eine bedeutsame Frage ist beispielsweise, welche Form der Reha wirkt. Die falsche Reha kann eine zusätzliche Schwächung zur Folge haben.
Besonders Kinder und Jugendliche haben unter den Maßnahmen gegen die Pandemie gelitten. Wie wollen Sie mehr Behandlungsmöglichkeiten für diese Gruppe schaffen?
Wir holen niedergelassene Kinder- und Jugendärzte aus den Budgets. Das heißt, die Behandlung zusätzlicher Patienten bekommen sie vollständig bezahlt. Das Gesetz dafür ist bereits weit fortgeschritten, es wird in wenigen Wochen beschlossen werden können. Auch bei den Psychotherapeuten plane ich Verbesserungen. Sie sollen Sonderzulassungen erhalten, wenn sie Kinder mit bestimmten Erkrankungen behandeln, die typisch sind als Folge der Schul- und Kitaschließungen zu Beginn der Pandemie. Dazu gehören etwa Angststörungen. In Kinderkliniken sind die Fallpauschalen schon weitestgehend entschärft. Auch Kinderarzneimittel werden jetzt besser vergütet und das Angebot ausgeweitet. Wir machen viel für Kinder, sie wurden vernachlässigt.
Sie planen eine Krankenhausreform, um die allseits beklagten Missstände in der stationären Krankenpflege zu beseitigen. Können Sie unseren Lesern diese komplizierte Reform erläutern?
Wir wollen neben der Krankenhausplanung vor allem die Finanzierung komplett umstellen. 40 bis 60 Prozent der somatischen Krankenhausbetriebskosten sollen nicht mehr über einzelne Fälle, also über Fallpauschalen, bezahlt werden, sondern über sogenannte Vorhaltebudgets einschließlich Pflege. Entscheidend ist, dass wir so den ökonomischen Druck für die Kliniken mindern. Die Klinik bekommt 60% des Budgets einfach für die Daseinsfürsorge. Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sie behandelt werden, weil es medizinisch notwendig ist und nicht, weil es sich wirtschaftlich lohnt. Das ist leider momentan nicht immer so. Deshalb kann man durchaus von einer Revolution im Krankenhauswesen sprechen.
Wie soll diese Revolution genau funktionieren?
Wenn Kliniken 40 bis 60 Prozent ihrer Betriebskosten allein für das Vorhalten der Leistungen ausgeglichen bekommen, sind sie nicht mehr gezwungen, so viele einzelne Fälle abzurechnen, um überleben zu können. Dadurch kann das System atmen. Wenn ich zum Beispiel zehn Prozent weniger Fälle abwickle, sinkt das Budget nur um vier Prozent. Gleichzeitig hat man eine Kostensenkung, die weit größer ist als vier Prozent. Nicht von heute auf morgen, aber mittelfristig. Die Krankenhäuser kommen aus dem Hamsterrad raus, weil sie einen großen Teil des Geldes für die hohen Kosten für Pflege, Geräte, Arzneimittel usw. erhalten. Deshalb können einige private Träger mit meiner Reform nichts anfangen, weil sie künftig nämlich weniger in der Lage sein werden, mit einer höheren Fallzahl noch höhere Gewinne zu machen.
Wie ist der Zeitplan?
Ich will bis zum Sommer mit den Bundesländern und den Regierungsfraktionen die Eckpunkte für die Krankenhausreform erarbeiten, um dann einen Gesetzentwurf im Herbst durch Bundestag und Bundesrat zu bringen, so dass die Reform Anfang 2024 in Kraft treten kann. Das ist ehrgeizig.
Die Krankenhausverbände befürchten, dass durch Ihre Reform mindestens 600 Kliniken wegfallen, weil sie nicht mehr Ihre neuen Kriterien einer Klinik erfüllen würden. Was entgegnen Sie?
Das ist die Kritik von Lobbyisten, die ich nicht teile. Die Krankenhäuser werden künftig in drei Stufen eingeteilt. In den am stärksten spezialisierten Kliniken der Stufe drei wird es künftig eine auskömmlichere Finanzierung der Versorgung geben, weil sie mehr schwere Krankenfälle zugewiesen bekommen als bisher und ihre hohen Vorhaltekosten besser ausgeglichen werden. Aber auch für die Basis-Versorgung in kleineren, weniger spezialisierten Krankenhäusern der Stufen eins und zwei würde es ja eine volle Aufwandsentschädigung geben. Denn sie bekommen die Vorhaltefinanzierung von 40 bis 60 Prozent. Sie können dann überleben, ohne komplizierte Eingriffe machen zu müssen. Ohne die Reform gäbe es ein ungeordnetes Krankenhaussterben.
Wenn alle Kliniken mehr Geld bekommen, gleichzeitig aber geringere Profite machen, steigen doch die Kosten für Beitrags- und Steuerzahler. Lobbyisten, wie Sie sie nennen, sprechen bereits von bis zu 80 Milliarden Euro Mehrkosten.
Ich kann nicht erkennen, warum diese Reform hohe Kosten verursachen soll. Die Kosten der meisten Krankenhäusern würden doch sinken, weil sie deutlich weniger Fälle versorgen müssen. Es würde dann doch vieles ambulant gemacht. Mit geringeren Kosten. Nur in den hochspezialisierten Kliniken der Stufe drei würden die Kosten steigen, weil sie mehr schwere Fälle hätten. Das würde natürlich auch besser bezahlt. Im Großen und Ganzen dürfte sich das ausgleichen.
Stichwort Terminvergabe von Ärzten: Trotz früherer Bemühungen hat sich für Versicherte kaum etwas verbessert. Was wollen Sie tun?
Bei der Überweisung durch den Fach- oder Hausarzt gibt es bereits jetzt mehr Geld für den behandelnden Arzt, wenn der Termin innerhalb kurzer Fristen vergeben wird. Das ist ein Mehrwert für alle Patientinnen und Patienten. Ich werde die Entwicklung hier engmaschig begleiten. Sollte es beim Zugang zu Terminen keine deutlichen Verbessrungen geben, behalte ich mir Nachsteuerungen vor
Wer soll diese Mehrkosten übernehmen? Die Kassen würden doch die Beiträge erhöhen oder Steuerzuschüsse einfordern.
An dem Konzept arbeiten wir noch. Wir wollen neben dem höheren Honorar die Terminvermittlung durch private Dienstleister stärker fördern. Ein Schritt gegen die Zwei-Klassen-Medizin.
Verbraucher leiden derzeit stark unter dem Medikamentenmangel in Deutschland. Wann können Sie da Entwarnung geben?
Wir machen jetzt schnell ein neues Gesetz, das mittelfristig zu merklichen Verbesserungen bei der Arzneimittelversorgung führen wird. Verträge zu wichtigen Generika sollen dann bevorzugt werden, die aus europäischer Produktion kommen. Damit sind nicht mehr so abhängig von Lieferanten aus China und Indien. Zudem wollen wir mehr Raum für Gewinne von Generika-Herstellern schaffen. Drittens werden wir eine längere Lagerung notwendiger Medikamente ermöglichen. Versorgung geht vor Sparzwang. Auch bei den Arzneimitteln haben wir es in der Vergangenheit mit der Ökonomisierung der Medizin übertrieben.
Kommen wir zum Schluss zur Cannabis-Legalisierung. Können Sie Ihren Zeitplan einhalten?
Wir werden eine kreative und sehr gute Lösung für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland vorlegen. Das wird noch im ersten Quartal erfolgen. Ich habe keinerlei Grund, an diesem Zeitplan zu zweifeln. Und ich bin sicher, dass die EU dann grünes Licht für das Vorhaben geben wird.F