Lauterbach: Bei der Gesundheitspolitik gibt es in der Ampel echte Teamarbeit
Im Interview mit dem Stern spricht Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach über die Umsetzung der Krankenhausreform, die vielen Häusern das finanzielle Überleben sichern soll: „Es ist eine riesige grundsätzliche Reform. Es war immer geplant, dass die Reform im Januar 2025 in Kraft tritt, das ist nach wie vor das Ziel.“ Zudem zieht der Minister eine bisherige gesundheitspolitische Bilanz, spricht darüber, welche Vorhaben noch auf dem Weg sind - und wie die Zusammenarbeit in der Regierung klappt.
Herr Lauterbach, welche Rolle nervt zurzeit mehr, wenn Sie unterwegs sind: Gesundheitsminister oder SPD-Politiker?
Weder das eine noch das andere. Die meisten Menschen, mit denen ich spreche, sind an meinen Vorhaben interessiert. Ich erlebe auch die Reaktionen auf unsere Touren durch die Bundesländer, in denen nun gewählt wird, nicht als unfreundlich, sondern neugierig und oft auch zustimmend. Es bedanken sich auch häufig Menschen für die Arbeit in der Corona-Zeit. Sogenannte Querdenker sind eine Minderheit.
Ihre Partei steht heute schlecht da. Bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg erwartet die SPD herbe Niederlagen. Was ist da schiefgelaufen?
Ich spekuliere nicht schon vor der Wahl über den möglichen Ausgang. Ich versuche mit meiner Arbeit, genau wie die Kolleginnen und Kollegen im Bund und den Ländern, ein gutes Wahlergebnis zu erzielen.
In den Umfragen steht die SPD in Sachsen und in Thüringen gefährlich nah an der Fünfprozent-Hürde. Beschleicht Sie bisweilen der Gedanke, dass Sie mit Ihrer Krankenhausreform dazu beigetragen haben könnten?
Die Reform wird laut Umfragen von der Mehrzahl der Bürger begrüßt. Somit glaube ich nicht, dass sie schadet, sondern hilft: Die Menschen wissen, dass wir die Reform brauchen, um unsere Kliniken gut aufzustellen.
Aber die Verunsicherung, die solch ein Vorhaben hervorruft, lässt sich nicht weg reden: Die Zahl der Kliniken soll verringert werden. In ländlichen Regionen ist die Sorge groß, dass das nächstgelegene Haus schließt.
Viele der kleineren Häuser in ländlichen Regionen, die wir unbedingt brauchen, stecken in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das ist mittlerweile bekannt. Die Reform sorgt mit einer anderen Form der Finanzierung dafür, dass sie besser finanziell abgesichert sein werden. Auf dem Land geht es darum, die Standorte zu halten.
Aber garantieren können Sie das nicht.
Die konkrete Krankenhausplanung ist immer Ländersache. Aber nur die Reform wird vielen Häusern das Überleben sichern. In Zukunft sollen Kliniken über zugewiesene Pauschalen auch dann Geld erhalten, wenn die Zahl der behandelten Fälle sinkt. Das ist dann eine Art Bestandsgarantie gerade für die ländliche Versorgung.
Also müssen nur die Städte bluten?
In einigen überversorgten Städten in Westdeutschland gibt es gemessen an der Zahl der Einwohner zu viele Krankenhäuser. Dort geht es darum, Standorte abzubauen. Auch brauchen wir dringend mehr Spezialisierung, besonders in der Krebsbehandlung.
Die Frage, ob das nächste Krankenhaus bleibt, ist für viele hochemotional. In den 90er-Jahren wurden in den neuen Ländern bereits viele Standorte geschlossen. Befeuern Sie jetzt das Gefühl der Benachteiligung und der Verunsicherung?
Genau deshalb bin ich jetzt viel unterwegs in Sachsen, Thüringen, Brandenburg, aber auch überall sonst – und kläre auf. Gerade die neuen Bundesländer werden von der Reform profitieren. Ihre Krankenhäuser sind bereits gut aufgestellt. Deswegen spüre ich in den Gesprächen hier viel Rückenwind. Am Ende werden wir eine Versorgung haben, die bessere Ergebnisse erzielt und weniger Geld kostet.
Sie wurden in den vergangenen Monaten nicht müde zu betonen, dass die Krankenhausreform kommt. Das klingt fast schon verzweifelt.
Ich betone das nur, weil ich immer wieder danach gefragt werde. Wir haben bisher keine Zeit verloren. Es ist eine riesige grundsätzliche Reform. Es war immer geplant, dass die Reform im Januar 2025 in Kraft tritt, das ist nach wie vor das Ziel. Wir planen eine schnelle Verabschiedung im Bundestag im Herbst.
Die Länder und auch die Krankenhausgesellschaft haben zahlreiche Einwände und fühlen sich übergangen. Ist das für Sie alles nur Blödsinn?
Ich nehme die Anliegen der Landesregierungen ernst. Die Länder haben etwa den Wunsch, dass sie mit dieser Reform die kleinen ländlichen Häuser erhalten können. Dafür stellen wir die Instrumente zur Verfügung.
Allerdings gibt es noch einen ganzen Forderungskatalog, und viele in den Ländern sind nicht sonderlich gut auf Sie zu sprechen.
Viele Punkte, das wissen die Länder, werden wir zum Schluss berücksichtigen. Aber wir berichten nicht über Zwischenstände. Wir verhandeln jetzt mit den Fraktionen im parlamentarischen Verfahren.
Also wird im Bundestag noch auf die Forderungen eingegangen?
Wir verändern das Gesetz ständig. Es wird zum Schluss eine Reform sein, mit der alle gut leben können.
Was ist eigentlich die persönliche Bilanz Ihrer bisherigen Amtszeit?
Dafür ist es zu früh, wir sind noch mittendrin. Zu Beginn waren wir mit der Bewältigung der Coronapandemie beschäftigt. Gleichzeitig habe ich mir eher große Reformen vorgenommen, unter anderem in der Digitalisierung. Im Januar kommt die elektronische Patientenakte. Wir sind das einzige große Land, das diese so aufgebaut hat, dass die Daten routinemäßig für Forschung und für das Trainieren von Künstlicher Intelligenz genutzt werden. Das ist ein großer Schritt. An einer großen Pflegereform arbeiten wir auch noch.
Viele Ihrer wichtigsten Vorhaben befinden sich noch im Prozess, sei es die Reform bei den Krankenhäusern, bei den Hausärzten, bei den Apotheken, der Notfallversorgung.
Das sind wirklich keine Bagatellgesetze, sondern sehr grundsätzliche Projekte – das muss gut vorbereitet sein. Die Krankenhausreform etwa stellt im System fast alles um. Eine solch große Reform gibt es, wenn überhaupt, alle 20 Jahre einmal.
Noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl – haben Sie Angst, dass Ihnen die Zeit davonläuft?
Angst ist nie ein guter Berater. Fest steht aber: Obwohl wir mit Hochdruck arbeiten, werden wir die gesamte Legislatur benötigen, um unsere Reformvorhaben durchzubringen. Den Fachkolleginnen und -kollegen der Ampel im Parlament bin ich sehr dankbar. In der Gesundheitspolitik funktioniert die Ampel ohne die üblichen Konflikte, dafür mit echter Teamarbeit.
Apropos Ampel-Konflikte: Was dachten Sie, als FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, immerhin Vizepräsident des Bundestags, wegen des Vorgehens während der Pandemie Ihren Rücktritt forderte?
Eine solche Äußerung möchte ich nicht kommentieren. Aber natürlich ist die Frage nach einer weiteren Aufarbeitung der Pandemiezeit berechtigt. Ich bin der Meinung, dass wir das dringend brauchen. Wir haben nichts zu verbergen. Klar, wir haben zum damaligen Zeitpunkt nicht alles, aber sehr vieles richtig gemacht.
Kubicki unterstellt Ihnen eine politische Einflussnahme auf das Robert-Koch-Institut, um das Ausmaß der Pandemie zu übertreiben.
Deutschland hat einen vorsichtigeren Kurs gefahren als viele andere europäische Länder mit ähnlicher Altersstruktur. So sind bei uns deutlich weniger Menschen gestorben. Darauf können wir stolz sein. Bei einer Aufarbeitung wird sich dieser Kurs auch nachträglich als richtig erweisen. Es ist aber falsch, etwas zu skandalisieren, was zur Normalität gehört.
Was meinen Sie?
Mein Ministerium hat die Fachaufsicht über das Robert-Koch-Institut, und wir arbeiten eng zusammen. Es wird nun versucht, einen Skandal daraus zu machen, dass wir uns damals zur Festlegung der Risikostufen abgestimmt haben. Das war aber ein ganz normaler Vorgang. Das RKI gibt eine Einschätzung ab, das Ministerium und auch der Minister selbst bringen ihre fachliche Sicht in die Diskussion ein. Im Februar 2022 hatten RKI-Chef Lothar Wieler und ich zunächst sogar eine Herunterstufung des Risikos erwogen, das haben wir dann aber um ein paar Wochen verschoben, weil die Sterbezahlen zum Teil noch bei 200 bis 300 Toten pro Tag lagen. Am Ende fanden wir immer eine gemeinsame Linie. Das ist kein Skandal, sondern das war unsere Aufgabe. Von einer Aufarbeitung der Pandemie erwarte ich mir eine sachlichere Diskussion.
Nur geht es in der Frage im Bundestag nicht voran. SPD, Grüne und FDP können sich nicht auf ein Format einigen, ob Enquête-Kommission oder Bürgerrat.
Der Bundestag wird sich sicherlich schnell einigen, die Aufarbeitung ist notwendig.
Öffentlich hat kein FDP-Politiker Kubickis Rücktrittsforderung widersprochen, einer von vielen Ampel-Tiefpunkten der vergangenen Zeit. Wie schlecht steht es um die Koalition?
Herr Kubicki ist eine Einzelstimme. Der muss man nicht widersprechen. Wir müssen als Ampel durch unsere Arbeit überzeugen. Wir werden noch gute Gesetze hinbekommen, etwa beim Schutz der Bevölkerung vor diesen bestürzenden terroristischen Attentaten, wie jüngst in Solingen.
Da müssen die Beitragszahler in den sauren Apfel beißen.
Das ist so, aber die Beitragszahler werden auch profitieren – weil sie dafür eine bessere Versorgung bekommen, beispielsweise wird ihre Herzerkrankung oder ihr Krebs besser behandelt werden.
Die Krankenkassen fordern ein kurzfristiges Paket, um den Anstieg der Beiträge zu verhindern.
Ich will das System jetzt nicht kaputtsparen. Wir brauchen diese Investitionen. Wir dürfen nicht sagen: Dann lass uns lieber alles beim Alten lassen. Das fällt uns in der Zukunft auf die Füße.
Wären Sie gern auch in der nächsten Legislatur noch der Gesundheitsminister?
Ich mache die Arbeit gern. Und Ideen für Verbesserungen im Gesundheitssystem hätte ich auch noch für eine weitere Legislatur.
Und Olaf Scholz ist der richtige Kanzlerkandidat für die SPD?
Olaf Scholz ist der beste Bundeskanzler, den wir je gehabt haben.
Wirklich?
Davon bin ich überzeugt. Olaf Scholz ist ein ausgesprochen intelligenter Mensch. Als Kanzler geht er die Probleme sachlich an, hört genau zu und weiß, was er will. Er geht keine unvertretbaren Risiken ein, aber traut sich auch an große Reformen. Wir sind mit ihm sehr gut aufgestellt.
Grünen-Chef Omid Nouripour nannte die Ampel eine "Übergangsregierung".
Diese Worte hätte ich nicht gewählt. Die Ampel arbeitet besser, als es öffentlich dargestellt wird. In meinem Bereich habe ich so viel zu tun, dass ich mich nicht mit Diskussionen über die Atmosphäre in der Ampel aufhalte. Wir sind für vier Jahre gewählt und müssen für vier Jahre arbeiten.
Ein drängendes Problem in Ihrem Bereich: Zum Jahresanfang 2025 droht erneut ein Anstieg der Beiträge in der Kranken- und der Pflegeversicherung. Werden Sie das zulassen?
Beim Beitragssatz werden wir wohl einen Anstieg sehen. Das liegt daran, dass in der Vergangenheit wichtige Reformen ausgeblieben sind. Wenn wir die Krankenhäuser jetzt nicht finanziell unterstützen, werden viele das rettende Ufer der Krankenhausreform nicht erreichen. Das müssen wir verhindern. Jetzt ist die Phase, in der wir Geld in die Hand nehmen müssen, auch das der Beitragszahler. Nur so gelingen die Strukturreformen, die langfristig die Kostenentwicklung dämpfen und das System besser machen.