Lauterbach: Im Moment gibt es keinen Grund für Alarm

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach sprach mit Web.de über die aktuelle Corona-Lage und die Krankenhausreform.

21. November 2022

Web.de: Herr Lauterbach, im Vergleich zum Vorjahr ist die Sieben-Tage-Inzidenz gesunken, die Zahl der Todesfälle ebenfalls – obwohl es kaum noch Beschränkungen des öffentlichen Lebens gibt. Wie entspannt sind Sie angesichts der Corona-Lage?

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: Im Moment gibt es keinen Grund für Alarm. Die Infektionszahlen sind für eine so ansteckende Variante wie Omikron relativ niedrig. Auf der anderen Seite gibt es auch keinen Grund zur Freude, denn es sterben immer noch um die 1000 Covid-Infizierte pro Woche. Im Oktober gab es eine deutliche Übersterblichkeit. Und auch die steigende Zahl an Long-Covid-Kranken bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit. Für den Winter sind wir allerdings gut vorbereitet. Der Pandemie-Radar gibt uns einen Vorsprung, um reagieren zu können.

Inwiefern?

Wir sehen jetzt sehr viel früher, wie die Lage sich entwickeln kann. Daher wissen wir zum Beispiel, dass wir in den nächsten Wochen keine große zusätzliche COVID Belastung der Kliniken zu erwarten haben – denn das würde sich jetzt bereits in der Viruslast im Abwasser widerspiegeln. Wir sind durch das relativ strenge Infektionsschutzgesetz gut vorbereitet für den Winter, wenn es notwendig wird.

Vier Bundesländer haben allerdings die Pflicht, sich mit einer Corona-Infektion zu Hause zu isolieren, abgeschafft. Rechnen Sie damit, dass weitere Länder nachziehen?

Nein, das glaube ich nicht. An den medizinischen Gründen für die Regeln hat sich ja nichts geändert. Das gefährliche an dieser Corona-Erkrankung für die Umwelt ist ja gerade, dass man auch ansteckend sein kann, wenn man keine Symptome hat. Es darf außerdem nicht sein, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen oder mit Krebs mit Maske arbeiten müssen, weil andere Menschen infiziert zur Arbeit gehen. Das hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund zu Recht kritisiert. Wir sind in der Pandemie immer gut damit gefahren, dass wir gesagt haben: Der Arbeitsplatz muss sicher sein. Das sollte weiterhin gelten.

Wie müsste sich die Pandemie entwickeln, damit auch Sie sagen: Jetzt kann die Isolationspflicht wegfallen?

Das ist eine wissenschaftliche und politische Frage, die ich nicht alleine entscheide. Das ist Aufgabe der gesamten Regierung und des Bundestages. Ich gehe davon aus, dass die Infektionszahlen im Winter noch einmal steigen werden. Wenn aber bis zum Frühjahr keine neuen gefährlichen Varianten aufgetaucht sind und der Impfschutz der Bevölkerung größer geworden ist – dann kann man tatsächlich darüber nachdenken, anders mit der Pandemie umzugehen. Klar ist, dass die Maßnahmen irgendwann abgebaut werden müssen. Aber es ist falsch, damit jetzt schon anzufangen.

Ihr großes Projekt für diese Legislaturperiode ist eine Krankenhausreform. Sie wollen unter anderem mehr ambulante Behandlungen in den Klinken. Warum?

Patientinnen und Patienten werden in Deutschland viel zu häufig im Krankenhaus behandelt und müssen dort über Nacht bleiben. Das hat oft keine medizinischen, sondern wirtschaftliche Gründe: Die stationäre Behandlung rechnet sich für Krankenhäuser einfach mehr, ambulant kann oft gar nicht abgerechnet werden, obwohl es ginge. Das überlastet die Pflege.  Deswegen führen wir jetzt für ausgewählte Operationen Abrechnungsziffern ein, die gleich sind, egal ob der Patient im Krankenhaus oder in einer Arztpraxis behandelt wird. Es rechnet sich also nicht mehr für die Kliniken, die Patienten unnötig stationär zu behandeln. Durch die sogenannten Hybrid-DRGs rechnen die Krankenhäuser dabei eine Behandlung über EINE Fallpauschale ab – auch wenn die Versorgung ambulant erfolgt. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn.

Welche stationären Eingriffe könnten auch ambulant stattfinden?

Die Operation von Leistenbrüchen wird zum Beispiel im europäischen Ausland meistens ambulant gemacht. Oder auch Operationen von Kreuzbandriss und Meniskusriss oder VIELE Linksherzkatheter. Es gibt eine ganze Reihe von Eingriffen, die eigentlich nur noch in Deutschland überwiegend stationär erbracht werden.

Müssen Patientinnen und Patienten dann befürchten, dass sie gegen ihren Willen nach Hause geschickt werden – auch wenn sie sich dabei nicht wohl fühlen?

Natürlich nicht. Wir richten die Krankenhausversorgung am Patienten aus. Patienten müssen sich darauf aber auch darauf verlassen können, dass sie im Krankenhaus nur stationär behandelt werden, weil es medizinisch erforderlich ist und nicht, weil es sich wirtschaftlich lohnt. Ein Patient, der noch nicht in der Verfassung ist, darf nicht nach Hause geschickt werden. Passiert das doch, wäre das ein Kunstfehler, für den der Arzt und die Klinik haften. Das ist aber auch nicht zu erwarten, das zeigen Erfahrungen aus dem Ausland.

Wenn weniger Patientinnen und Patienten über Nacht bleiben, soll das auch die Pflegekräfte entlasten. Wird das reichen, um die angespannte Pflegesituation zu entschärfen? 

Nein. Das reicht bei weitem nicht. Dafür ist die Not in der Pflege zu groß. Allerdings eröffnen wir den Krankenhäusern jetzt auch noch die Möglichkeit zur tagesstationären Versorgung. Patienten sollen zu Hause übernachten können, auch wenn sie mehrere Tage hintereinander im Krankenhaus behandelt werden. Und wir führen eine Bedarfsplanung ein, die PPR 2.0. Damit lässt sich sehen, wo Pflegekräfte fehlen. Hat ein Krankenhaus nicht genug Personal, wird es in Zukunft bestimmte planbare Eingriffe nicht mehr durchführen können.

Es gibt in Deutschland deutlich mehr Krankenhausbetten pro Einwohner als in vielen anderen Ländern. Gibt es dann auch zu viele Krankenhäuser in Deutschland?

Die Bunderegierung hat eine Krankenhaus-Kommission eingesetzt, der ich hier nicht vorgreifen will. Klar ist: Es gibt zu viele Krankenhäuser, die das Gleiche machen. Wir brauchen auf dem Land eine Grundversorgung, einschließlich einer guten Notfallversorgung. Die Frage ist aber: Muss jede Klinik, um zu überleben, Eingriffe machen, für die sie zum Teil nicht optimal qualifiziert ist? Wir brauchen eine stärkere Zentralisierung von aufwendigen Leistungen wie Krebsoperationen und Chemotherapien. Gleichzeitig brauchen wir eine ausreichende Finanzierung der kleineren Krankenhäuser auf dem Land und in ärmeren Stadtteilen – unabhängig davon, wie viele Leistungen sie erbringen. Die Kliniken müssen aus dem Hamsterrad heraus: Bisher müssen sie immer mehr Eingriffe machen, um überhaupt überleben zu können.

Eine Krankenhausreform würde also nicht bedeuten, dass Kliniken reihenweise geschlossen werden?

Es wird in Zukunft weniger Krankenhäuser geben, weil sich viele Kliniken aufgrund des Personalmangels anders orientieren müssen. Die werden beispielsweise zu Gesundheitszentren oder zu Kliniken, die nur noch eine Notfallversorgung, ambulante Leistungen und eine Basisversorgung anbieten. Aber warten wir doch ab, wie die Vorschläge der Regierungskommission aussehen.

Wann rechnen Sie damit?

Die Kommission hat ihre Arbeit fast abgeschlossen. Ich gehe davon aus, dass die Vorschläge in den nächsten Wochen vorgestellt werden.

Verbände und Bundesländer kritisieren allerdings, dass sie an der Krankenhaus-Kommission nicht beteiligt sind. Dabei müssten sie mögliche Reformen umsetzen.

Früher haben Verbände, Länder, Wissenschaft und Minister zusammengesessen. Dabei ist nie viel herausgekommen. 20 Jahre Erfahrung lehren mich, dass solche Verhandlungen wie Basare sind, bei denen verschiedene Aspekte vermengt werden und wo es nie zu einem guten, geordneten Verfahren kommt. Wir haben jetzt eine sehr gut besetzte Kommission, die Vorschläge macht. Dann besprechen wir diese Vorschläge mit den Verbänden. Im dritten Schritt kommen die Länder und die Bundestagfraktionen dazu. Und im vierten Schritt entsteht das Gesetz. Dieses Verfahren hat sich bewährt. 

Sie zahlen als Mensch einen hohen Preis für dieses Ministeramt: Sie haben davon berichtet, dass Sie und Ihre Familie regelmäßig bedroht werden. Was macht das mit Ihnen?

Ich bin nicht der Typ, der sich den ganzen Tag mit diesen Bedrohungen beschäftigt. Das ist Teil meines Lebens geworden. Es bedrückt mich sehr, was meine Familie angeht. Aber ich persönlich sehe das als einen Teil meiner Arbeit, und ich bin gut geschützt.

Sie haben lange auf dieses Amt hingearbeitet. Haben Sie im vergangenen Jahr mal daran gezweifelt, ob es das wert war?

Nein. Ich mache diese Arbeit mit Enthusiasmus und aus Überzeugung. Ich habe es nie bereut, das Amt übernommen zu haben. In diesem Amt überschneiden sich mein Selbstverständnis als Arzt und Gesundheitspolitiker: ich helfe Patienten. Das sind Krebskranke, das sind Menschen mit Behinderungen, das sind Covid-Kranke. Es ist meine Pflicht, für sie alles zu geben, was geht.

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