Regierungskommission legt Krankenhauskonzept vor - Lauterbach: Weniger Ökonomie, mehr Medizin
Die Behandlung von Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern soll künftig mehr nach medizinischen und weniger nach ökonomischen Kriterien erfolgen. Das empfiehlt die 17-köpfige „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Dafür sollen die Kliniken nach drei neuen Kriterien honoriert werden: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Das Fallpauschalensystem müsse entsprechend weiterentwickelt werden, heißt es in der Empfehlung.
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach am 06.12.2022 in der Bundespressekonferenz:
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Die Vorschläge der Regierungskommission im Einzelnen:
1. Vergütung von Vorhalteleistungen
Derzeit erfolgt die Finanzierung von Krankenhausleistungen weitestgehend über Fallpauschalen (siehe Hintergrund unten). Fixkosten – wie das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik – müssen überwiegend ebenfalls über die Fallpauschale erwirtschaftet werden. Um die Bedeutung der Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge zu unterstreichen und um den wirtschaftlichen Druck auf möglichst viele Behandlungsfälle zu senken, empfiehlt die Regierungskommission, künftig einen festen Betrag als Vorhaltekosten zu definieren, den Krankenhäuser – je nach ihrer Zuordnung (siehe Punkte 2 und 3) – erhalten. Damit wird wirtschaftlicher Druck von den Krankenhäusern genommen.
2. Definition von Krankenhaus-Versorgungsstufen (Leveln)
Die Krankenhausstrukturen in Deutschland sind historisch gewachsen. Jedes Krankenhaus unterhält unterschiedliche Fachabteilungen und bietet unterschiedliche Leistungen an. Künftig sollen Krankenhäuser in drei konkrete Level eingeordnet und entsprechend gefördert werden:
- Grundversorgung – medizinisch und pflegerische Basisversorgung, zum Beispiel grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle.
- Regel- und Schwerpunktversorgung – Krankenhäuser, die im Vergleich zur Grundversorgung noch weitere Leistungen anbieten.
- Maximalversorgung – zum Beispiel Universitätskliniken.
Für jedes Level sollen einheitliche Mindestvoraussetzungen gelten. Damit würden erstmals einheitliche Standards für die apparative, räumliche und personelle Ausstattung gelten – und damit die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten maßgeblich erhöht werden.
Den Krankenhäusern des Levels I wird eine besondere Bedeutung zugemessen. Sie müssen flächendeckend eine wohnortnahe Versorgung garantieren. Sie werden daher unterteilt in Krankenhäuser, die Notfallversorgung sicherstellen (Level I n) und solche, die integrierte ambulant/stationäre Versorgung anbieten (Level I i). Krankenhäuser des Levels I i soll eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Überwindung der zu häufig noch stationärer-ambulant getrennten Gesundheitsversorgung zukommen. Deshalb empfiehlt die Regierungskommission, sie sektorenübergreifend regional zu planen, sie vollständig aus dem DRG-System herauszunehmen und über Tagespauschalen zu vergüten. Zudem soll durch entsprechende gesetzliche Änderungen ermöglicht werden, dass sie unter pflegerischer Leitung stehen können.
3. Einführung von definierten Leistungsgruppen
Die lediglich grobe Zuweisung von Fachabteilungen (wie „Innere Medizin“) zu Krankenhäusern soll durch genauer definierte Leistungsgruppen abgelöst werden (z. B. „Kardiologie“). Derzeit behandeln Krankenhäuser gewisse Fälle zu häufig auch ohne passende personelle und technische Ausstattung, etwa Herzinfarkte ohne Links-herzkatheter, Schlaganfälle ohne Stroke Unit oder onkologische Erkrankungen ohne zertifiziertes Krebszentrum.
Behandlungen sollen künftig nur noch abgerechnet werden können, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde. Voraussetzung für die Zuteilung ist die Erfüllung genau definierter Strukturvoraussetzungen für die jeweilige Leistungsgruppe, etwa bezüglich personeller und apparativer Ausstattung. Je nach Komplexität wird für jede Leistungsgruppe festgelegt, ob sie an Krankenhäusern aller drei Level erbracht werden darf oder nur an Krankenhäusern höherer Level (II und III oder nur III). Die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten wird so maßgeblich verbessert. Für jede Leistungsgruppe wird ein Vorhalteanteil festgelegt.
Die Regierungskommission empfiehlt, die Regelungen nicht sofort gelten zu lassen, sondern in einer großzügigen Übergangsphase schrittweise einzuführen (Konvergenzphase von 5 Jahren). Damit bleibt den Krankenhäusern, den Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Ländern ausreichend Zeit, sich auf das veränderte Finanzierungssystem einzustellen.
Auftrag der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Laut Koalitionsvertrag sollte die Regierungskommission Empfehlungen für eine Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung vorlegen, die das bisherige System um ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Universitätsklinika) differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzt. Die Regierungskommission wurde im Mai 2022 eingesetzt und hat seitdem zu verschiedenen Themen (u. a. auskömmliche Finanzierung von Pädiatrie und Geburtshilfe, Krankenhaustagesbehandlung) Stellungnahmen vorgelegt, die im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz umgesetzt wurden.
Hintergrund: Die derzeitige Krankenhausfinanzierung
Krankenhäuser decken ihre laufenden Betriebskosten (Kosten für medizinische Behandlung, z. B. Personal, Operationsbedarfe, …) über die sogenannten Fallpauschalen (DRGs). Das heißt: Sie erhalten einen fixen Betrag, auch wenn die Behandlung tatsächlich mehr oder weniger gekostet hat. Investitionskosten – also zum Beispiel Kosten für Bauten oder bauliche Instandhaltung – sind in ausreichender Höhe von den Ländern zu tragen. Dies geschieht nicht flächendeckend in ausreichendem Maße.
Durch das Fallpauschalensystem besteht ein Anreiz, sehr viele – im Zweifelsfall auch unnötige – Operationen oder anderweitige Behandlungen durchzuführen (sog. Leistungs- oder Mengenanreiz), zudem insbesondere die Fallpauschalen abzurechnen, die besonders lukrativ sind – und Fachbereiche, die weniger lukrativ sind, wie die Kinder- und Jugendmedizin, zu schließen. Darüber hinaus besteht der wirtschaftliche Anreiz, Patientinnen und Patienten so früh wie möglich zu entlassen, um durch die Fallpauschale mehr einzunehmen, als die Behandlung gekostet hat („blutige Entlassung“). Entsprechend hoch ist der wirtschaftliche Druck im System.
Im weltweiten Vergleich finanziert Deutschland seine Krankenhäuser damit am stärksten über Leistungs- und Mengenanreize. Damit unterscheidet sich die Krankenhausfinanzierung nicht nur von anderen Gesundheitssystem, die Fallpauschalen nutzen, sondern auch von vergleichbarer kritischer Infrastruktur und Einrichtungen der Daseinsvorsorge in Deutschland (z. B. Feuerwehr).
In der Vergangenheit wurden verschiedene gesetzgeberische Schritte unternommen, um die negativen Auswirkungen der Fallpauschalen abzumildern. Etwa über die Definition von Anforderungen (z. B. eine bestimmte Mindestmenge), die die Krankenhäuser erfüllen müssen, um eine Leistung abzurechnen oder Zuschläge für bestimmte Krankenhäuser (z. B. Sicherstellungszuschläge für wirtschaftlich bedrohte, aber für die Versorgung wichtige Krankenhäuser) oder die Herausnahme der Pflege aus den Fallpauschalen. Diese Lösungen „im System“ haben die Defizite der Fallpauschalenfinanzierung nicht komplett beheben können.