Spahn: "Digitalisierung soll im Alltag der Patienten ankommen"
Bundestag beschließt Patientendaten-Schutz-Gesetz
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie ist für viele in unserer Gesellschaft eine schwere Belastung: Unternehmer, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen; Kinder, die nicht in die Schule oder die Kita gehen können; Arbeitnehmer, die um ihren Job bangen. Aber es gibt in dieser Krise auch viele Entwicklungen, die Hoffnung machen, die Perspektive geben. Das Wirgefühl, das sich in weiten Teilen der Gesellschaft entwickelt hat, die Hilfsbereitschaft, die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen, und, ja, auch die Erfahrung der Digitalisierung, die vieles im Alltag in dieser Pandemie leichter gemacht hat.
Das galt und gilt auch für das Gesundheitswesen: Videosprechstunden, Onlinesprechstunden - ob bei den Ärztinnen und Ärzten oder in der Logopädie. Das gilt übrigens auch für die Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, wo wir in gerade drei Monaten unter großer Anstrengung mehr schaffen, als vorher in zwanzig Jahren wegen verschiedener Widerstände auf allen Ebenen möglich war. Endlich keine Labormeldungen mehr per Fax, sondern seit zwei Wochen auch digital. Dafür haben wir lange gearbeitet. Jetzt konnten wir endlich die Widerstände brechen und das durchsetzen.
Das gilt auch für die Corona-Warn-App.
Das zeigt eben, wann es Akzeptanz und Zustimmung gibt. Heute hat eine Umfrage unter Bürgerinnen und Bürgern gezeigt: Drei Viertel sehen der elektronischen Patientenakte mit positiven Gefühlen, mit Zustimmung entgegen und wollen sie gerne nutzen. Es gibt dann Akzeptanz und Zustimmung, wenn Technik im Alltag die Dinge leichter macht. Warum nutzen wir alle jeden Tag unser Smartphone? Weil es die Dinge leichter macht: in der Kommunikation, in der Information, in der Umsetzung. Akzeptanz und Zustimmung gibt es, wenn es datensensibel ist, wenn die datenschutzrechtlichen Vorgaben stimmen, wenn es eben einen echten Mehrwert gibt.
Genau diesen Rückenwind auch aus den Erkenntnissen, wie viel Digitalisierung nützen kann, wollen wir mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz langfristig für das Gesundheitswesen nutzen. Wir wollen dafür sorgen, dass Digitalisierung im Gesundheitswesen bei den Patientinnen und Patienten ankommt, aber auch bei allen, die behandeln, weil natürlich auch die Behandlung leichter wird, wenn Informationen verfügbar sind.
Es sind viele Anwendungen für die elektronische Patientenakte vorgesehen: beim Mutterpass, beim Impfausweis, bei den Behandlungsdaten überhaupt, sodass man die Röntgenbilder nicht durch die Gegend tragen muss, ob in der Tasche oder auf CD-ROM. All das gibt es ja noch jeden Tag im deutschen Gesundheitswesen. Nirgendwo in Deutschland wird noch so viel gefaxt wie im Gesundheitswesen. Das wollen wir jetzt Schritt für Schritt ändern. Ja, ich sage Ihnen: Die elektronische Patientenakte wird nicht ab dem 1. Januar bei allen Anwendungen gleich perfekt sein. Bei der Patientenakte wird nicht alles gleich ab dem 1. Januar gehen. Aber wir müssen mal anfangen.
Herr Kessler, Sie nennen das jetzt überstürzt. Nach 15 Jahren Debatte führen wir endlich die elektronische Patientenakte ein. Wenn das Ihre Definition von „überstürzt“ ist, dann erklärt das an dieser Stelle einiges Ihrer Geschichtsaufarbeitung in den letzten Jahren.
Es ist jedenfalls eine interessante Definition. - Ich frage mich sowieso manchmal, was eigentlich mit Ihrer DDR passiert wäre, wenn es damals das Internet schon gegeben hätte. Dass Sie uns hier eine Rede zum Schutz von persönlichen Daten halten, ist eigentlich ein Treppenwitz der Geschichte, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.
Aber unabhängig davon gilt: Datenschutz ist bei so sensiblen Daten wie Gesundheitsdaten wichtig, und zwar Datenschutz auf höchstem Niveau. Es gibt nichts Sensibleres für den Einzelnen, nichts Persönlicheres, Intimeres als die Daten über die eigene Gesundheit und insbesondere eine mögliche Erkrankung. Deswegen legen wir Datenschutzstandards auf höchstem Niveau in diesem Patientendaten-Schutz-Gesetz fest. Wir legen vor allem fest, dass diese Gesundheitsdaten auf deutschen Servern nach europäischem Datenschutzrecht zu verarbeiten sind.
Was ich in der deutschen Debatte nie verstehen werde, ist, warum am Ende so viel mehr Bereitschaft da ist, Apple, Google, Facebook oder auch Alibaba die eigenen persönlichen Daten jeden Tag zur Verfügung zu stellen, als dann, wenn der eigene Staat einen Rahmen dafür setzt, Daten zum Wohle des Einzelnen - anonymisiert oder pseudonymisiert - zur Forschung und zum Mehrwert für alle Patientinnen und Patienten zu nutzen. Dann gibt es so ein Grundmisstrauen. Solange das so ist und es ein Grundvertrauen in amerikanische Großkonzerne und ein Grundmisstrauen in den eigenen Staat gibt, werden wir in der Digitalisierung nicht vorankommen. Deswegen ist diese Debatte dringend zu führen.
Gerade Sie hätten es anscheinend lieber, dass Apple und Google die Angebote entwickeln. Die bieten das jeden Tag an; die Bürger wollen es nutzen. Die Frage ist: Machen wir ihnen ein Angebot nach unserem Recht auf unseren Servern? Ich finde, wir sollten ihnen dieses Angebot machen, und das wird am 1. Januar beginnen.
Abschließend, Herr Spangenberg: Ich meine, wenn die ganze Alternative, die Sie hier zu bieten haben, irgendwie Skepsis und monotone schlechte Laune mit Blick auf Digitalisierung ist, dann ist das nicht mein Verständnis davon, wie ich diese 20er-Jahre gestalten will. Ich möchte nicht, dass wir Digitalisierung erleiden; ich möchte, dass wir sie gestalten, dass wir daraus einen Mehrwert machen für die Bürgerinnen und Bürger, für die Patientinnen und Patienten, für alle, die im Gesundheitswesen tätig sind. Deswegen geht es eben darum, manchmal auch mit ein bisschen Zuversicht und guter Laune an diese Themen ranzugehen. Ja, ich bin sehr dafür, auch die Probleme, die Risiken und die Datenschutzfragen zu sehen, zu diskutieren und zu lösen. Aber unser Grundverständnis ist, dass wir Digitalisierung mit Zuversicht und guter Laune gestalten wollen. Das tut dieses Gesetz.