Lauterbach: Mit Krankenhausreform steht die Medizin wieder im Vordergrund
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach erklärt in seiner Bundestagsrede zur 1. Lesung des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) warum die Krankenhausreform dringend nötig ist.
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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist ein guter Tag für das deutsche Gesundheitssystem, weil wir nach langen Beratungen die unbedingt benötigte Krankenhausreform in das parlamentarische Verfahren einbringen.
Weshalb ist diese Reform so wichtig, weshalb können wir auf diese Reform nicht verzichten? Deutschland hat die höchste Dichte von Krankenhausbetten in ganz Europa. Wir machen mehr stationär als viele andere Länder. Sehr viele Leistungen, die bei uns noch stationär erbracht werden, werden international längst ambulant erbracht. Wir haben 1 700 Krankenhäuser. Wir haben damit eine hohe Bettendichte, aber jedes dritte Krankenhausbett steht leer. Und viele Eingriffe - da müssen wir uns ehrlich machen -, die wir derzeit stationär vornehmen, würden wir ambulant machen, wenn wir ein moderneres System und eine bessere Vergütungsstruktur hätten.
Wir haben gleichzeitig explodierende Fallkosten. Wir haben jetzt zum ersten Mal einen Gesamthaushalt für den Krankenhaussektor von 100 Milliarden Euro. Die Kosten steigen schnell, und gleichzeitig haben wir Personalmangel. Gleichzeitig ist jede sechste Schicht derzeit unterbesetzt. Wir haben die Situation, dass private Träger zum Teil hohe Gewinne machen, aber die Krankenhäuser, die wir für die Versorgung auf dem Land brauchen, Defizite machen, sodass sie gegen die Insolvenz kämpfen. Wenn die Krankenhausreform nicht käme, müssten wir davon ausgehen, dass bis zum Jahr 2030 25 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland in die Insolvenz gingen. Es wären zum Teil die Krankenhäuser, die wir für die Versorgung unbedingt benötigen - für die ländliche Versorgung, für die Routineversorgung -, die Häuser, auf die wir auf keinen Fall verzichten könnten. Das können wir nicht akzeptieren!
Wir haben ein System, wo die Versorgung bürokratisch ist, wo es so ist, dass junge Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, in der Pflege oder im Krankenhaussektor, zum Teil von der Bürokratie erdrückt werden.
Die Ökonomie steht sehr häufig im Vordergrund der Klinikentscheidungen. Das ist den jungen Menschen nicht mehr zuzumuten und verschlechtert die Versorgung.
Schauen Sie sich an, wie wenig Spezialisierung wir haben: Wir haben im Raum Köln, 50 Kilometer um Köln herum - das zeigt der Klinikatlas -, 85 Kliniken, die Darmkrebs behandeln; das ist nicht richtig. Da sind viele Kliniken dabei, die zwischen 10 und 20 Fälle pro Jahr haben. Das ist nicht die Qualität, die wir für uns und für unsere Anverwandten oder unsere Patienten wollen können. Wir brauchen mehr Spezialisierung, wir brauchen weniger Bürokratie, und wir brauchen eine sichere Finanzierung für die Häuser, die wir dringend benötigen, insbesondere im ländlichen Raum.
Ich weiß, dass die Reform eine schwierige Reform ist; ich weiß, dass die Reform umstritten ist; ich weiß, dass wir mit den Ländern hier noch einen langen Weg vor uns haben.
Aber lassen Sie mich die Punkte in den Vordergrund stellen, die eigentlich alle, die sich mit der Reform intensiv auseinandergesetzt haben, eint.
Erstens. Niemand vertritt die Meinung, dass wir das System der Fallpauschalen, wo im Prinzip jeder Patient, der in die Klinik kommt, mit einem Preisschild in die Klinik kommt, wo der ökonomische Anreiz so oft die medizinische Versorgung bestimmt hat, weiter brauchen. Die Ökonomie ist zu weit gegangen. Wir müssen uns zurückbesinnen auf die medizinische Bedürftigkeit der Patienten und die Qualität der Versorgung in den Vordergrund stellen. Daher muss das System der Fallpauschalen abgeschafft werden.
Wir brauchen eine Daseinsfürsorge; das ist ein Konsenspunkt.
Zum Zweiten. Es ist auch unstrittig, dass wir mehr Spezialisierung brauchen. Was ich eben beschrieben habe, führt dazu, dass 40 Prozent der Patienten, die an Krebs erkrankt sind, nicht in Krankenhäusern versorgt werden, die entsprechend zertifiziert und qualifiziert sind. Die Sterblichkeit für Menschen, die Brustkrebs bekommen und behandelt werden, ist 25 Prozent geringer, wenn in einem zertifizierten Krankenhaus behandelt wird. Wir wollen, dass alle Frauen eine solche Versorgung bekommen. Wir dürfen es uns nicht leisten, dass Menschen wegen mangelnder Spezialisierung sterben, die wir gut hätten retten können; das ist nicht richtig.
Wir müssen zu einer Situation kommen - auch das ist Konsens zwischen allen Beteiligten -, wo es sich wieder lohnt, Kinderheilkunde zu praktizieren, wo es sich wieder lohnt, Geburtshilfe zu praktizieren, wo es sich wieder lohnt, Notfälle zu behandeln, wo es sich wieder lohnt, Schlaganfälle gut zu behandeln. Mit all diesen Bereichen werden derzeit systematisch Verluste gemacht; das muss ein Ende haben. Wir müssen diese Bereiche durch die Vorhaltepauschalen so finanzieren, dass dort eine gute Medizin praktiziert werden kann und dass jeder Bereich - Kinderheilkunde, Geburtshilfe, Notfälle, Schlaganfälle - die beste Versorgung bekommt, die wir organisieren können.
Wenn wir das System der Fallpauschalen abschaffen,
dann kommt auch die lang erwartete, dringend benötigte Entbürokratisierung. Die Entbürokratisierung ist notwendig. Wir prüfen derzeit jeden einzelnen Fall, ob er so hätte belegt werden müssen. Diese Kultur des Misstrauens zerstört unsere Versorgung. Das ist Gift, das stößt junge Menschen ab. Wir brauchen weniger Ökonomie.
Wir nehmen den ökonomischen Druck weg, indem 60 Prozent der Vergütung über Vorhaltepauschalen bezahlt werden. Wir werden die Entbürokratisierung durch die Abschaffung des Fallpauschalensystems bringen. Wir werden den ländlichen Raum viel besser absichern. Ich höre oft, dass diese Reform die ländliche Versorgung gefährde. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir die Reform nicht machen, können die kleinen Krankenhäuser, die wir auf dem Land brauchen, nicht überleben. Aber wir führen hier Zuschläge für die Sicherstellung ein, Zuschläge für Schlaganfallversorgung, für Traumatologie, Unfälle, für die Pädiatrie, für die Geburtshilfe, für die Intensivmedizin. Diese Zuschläge sind es doch, die es ermöglichen, dass die kleinen Krankenhäuser auf dem Land, die wir dringend benötigen, überleben können. Das werden wir gewährleisten.
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler aus der Gruppe Die Linke?
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:
Ja.
Kathrin Vogler (Die Linke):
Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie meine Zwischenbemerkung zulassen. - Sie haben jetzt zweimal hintereinander gesagt, dass Sie mit dieser Reform das Fallpauschalensystem abschaffen. Das ist ja nun mal einfach nicht richtig!
Die Krankenhäuser müssen weiterhin einen Teil ihrer Aufwendungen aus den Fallpauschalen beziehen, was dazu führen wird, dass die Fehlanreize, die durch die Fallpauschalen gesetzt werden, was auch das Thema Mengenausweitung angeht, überhaupt nicht behoben werden. Und die Vorhaltepauschalen, die Sie in der Reform vorsehen, werden ja größtenteils nach der alten Fallpauschalenlogik, also nach dem, was bisher an Fällen in den Krankenhäusern gemacht worden ist, berechnet. Warum versuchen Sie eigentlich, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, indem Sie behaupten, dass Sie die Fallpauschalen abschaffen, was einfach in dieser grundsätzlichen Form überhaupt nicht passiert?
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:
Vielen Dank für diese Frage. - Es ist tatsächlich so: Derzeit ist 100 Prozent des Budgets die Fallpauschale, und in Zukunft werden 60 Prozent des Budgets für die Daseinsfürsorge, für die Vorhaltung der Geräte, des Personals bezahlt, selbst dann, wenn es deutlich weniger Fälle gibt.
Wenn wir jetzt die Fälle gar nicht mehr bezahlen würden und es einfach nur eine Pauschale gäbe, die alles abdeckt, dann würden natürlich die Häuser die Gewinne machen, die gar nicht mehr behandeln. Im Extremfall wäre es dann so, dass man die Fälle um 50 Prozent reduziert und den Rest einfach als Windfall Profit mitnimmt; das ist natürlich falsch.
Aber jeder versteht doch, dass 60 Prozent der Vergütung, die jetzt für die Daseinsfürsorge und für die Qualität der Versorgung bestimmt sind, in der Praxis dazu führen werden, dass die Fälle gar nicht mehr entscheidend sind, sondern entscheidend ist dann: Bekomme ich die Leistungsgruppe, habe ich dafür die Qualität? - Und dann rückt in den Hintergrund, wie viele Fälle ich mache. Daher ist die Beschreibung aus meiner Sicht zutreffend. Die Fallpauschalen werden in der Praxis kaum mehr eine Rolle spielen. Für 40 Prozent des Honorars übernimmt fast keiner einen zusätzlichen Fall; der Anreiz ist weg.
Im Vordergrund steht zukünftig die Frage: Muss ein Fall aus medizinischer Sicht behandelt werden oder nicht? Das ist die entscheidende Veränderung.
Wir werden mit dieser Reform die Transparenz die Qualität betreffend verbessern. Wir werden deutlich bessere Behandlungsergebnisse haben. Wir werden die Krankenhäuser wieder so aufbauen, dass die Medizin im Vordergrund steht.
Wir werden auch stark ambulantisieren. Mit dem Konzept der sogenannten Level 1i-Kliniken gehen wir endlich an das heran, was wir schon früher hätten machen sollen: Wir erlauben es den Krankenhäusern, mehr ambulante Leistungen erbringen zu dürfen. Ich hatte es ja eben schon in den Vordergrund gestellt: Viele Behandlungen finden bei uns stationär statt, die anderswo schon ambulant gemacht werden. Wir müssen es den Krankenhäusern ermöglichen, die Leistungen, die sie ambulant erbringen können, auch ambulant durchführen zu können. Das ist besser für die Patienten. Das ist besser für die Krankenhäuser. Und das ist auch einfach eine bessere Medizin, die praktiziert wird.
Die Länder gehen diesen Weg mit uns gemeinsam. Lassen Sie mich ganz klar sagen: Wir sind auf einem guten Weg; denn wir sind uns hinsichtlich der Ziele einig. Die Länder legen den größten Wert darauf, dass sie die Zuständigkeit bei der Sicherstellung der Versorgung behalten. Das werden wir gewährleisten. Die Leistungsgruppen, wodurch als Folge 60 Prozent des Budgets abgedeckt werden, werden allein von den Ländern zugeteilt. Das heißt, wenn ein Land festlegt, eine bestimmte Klinik solle bei hoher Qualität die Brustkrebsversorgung machen, dann zahlt der Bund dieser 60 Prozent. Die Länder sind die alleinigen Herren der Sicherstellung. Das ist richtig.
Wir hingegen werden keine Zugeständnisse bei der Qualität machen. Wir wollen gleiche bzw. bessere Qualität für alle. Da machen wir keine Zugeständnisse. Wenn wir uns hier begegnen, also in dem Sinne, dass die Länder für die Sicherstellung der Versorgung zuständig sind und wir die Verbesserung der Qualität im Auge haben, dann werden wir die Reform auch gemeinsam schaffen.
Ich möchte mich zum Abschluss bedanken. Die Ampelfraktionen sind diesen langen Weg in einer Art und Weise gemeinsam gegangen, dass ich sagen will: Wenn wir in allen Politikbereichen so harmonieren würden, dann stünden wir noch besser da, als wir derzeit dastehen.
Das war in der Sache immer eine sehr gute Zusammenarbeit.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit hier auch der Union ein leichtes, ein eingeschränktes Lob aussprechen: In den Landtagswahlen sind wir fair miteinander umgegangen.
Ich finde, das Thema ist einfach zu wichtig für Parteipolitik. Wir werden an den Extremen genug Parteien haben, die versuchen werden, diese notwendige Reform durch Populismus zu diffamieren. Das sollten wir als demokratische Parteien nicht machen.
Ich freue mich auf die Beratungen und danke für die Aufmerksamkeit.