Lauterbach: "Das ist ein Wiederbelebungsprogramm für die kleinen Kliniken"

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach betonte in seiner Rede im Bundesrat erneut die Bedeutung der Reform für den Erhalt kleiner Kliniken.

05. Juli 2024

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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: 

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich werde zwei grundsätzliche Dinge sagen und auf die wichtigsten Punkte sehr konkret eingehen.

Zunächst einmal etwas ganz Grundsätzliches, weil das in den Vordergrund gestellt werden muss. Es wird immer gesagt: Diese Reform muss kommen, aber sie gefährdet möglicherweise die Krankenhäuser im ländlichen Raum. – Das Gegenteil ist der Fall. Im jetzigen System, im Fallpauschalensystem, haben die Häuser im ländlichen Raum keine Chance, und zwar deshalb, weil die Fallpauschalen sich dort lohnen, wo schwere, teure Fälle behandelt werden. Das ist im ländlichen Raum abnehmend der Fall. Weshalb ist das so? Weil viele Menschen diese größeren Eingriffe lieber in Spezialkliniken in der Stadt machen lassen und weil im ländlichen Raum die Bevölkerung schrumpft. Somit habe ich dort nicht die Möglichkeit, diese Häuser über ein Fallpauschalensystem zu erhalten. Diese Häuser werden in den nächsten Jahren ohne diese Reform alle in größte wirtschaftliche Not kommen und entweder verschwinden oder subventioniert werden müssen.

Und es wird auch noch eine schlechte Medizin sein. Weshalb wird es eine schlechte Medizin sein? Weil diese Häuser versuchen werden, zumindest einen Teil der großen Eingriffe aus Budgetgründen zu halten. Aber es werden keine besonders guten Eingriffe sein. Wenn Sie den Klinikatlas, den Sie ja nicht mögen, der aber wertvoll ist, bemühen und mal im Anschluss an die Sitzung schauen, wie viele Krankenhäuser 50 Kilometer um Köln herum Darmkrebs behandeln, dann werden Sie auf die phänomenale Größenordnung von 85 Kliniken kommen. In die allermeisten dieser Kliniken würde niemals ein Arzt für die eigene Darmkrebsbehandlung oder die seiner Verwandten gehen. Niemals! Wenn Sie dort fragen: „Wann haben Sie zuletzt eine Darmkrebsoperation bei einem ärztlichen Kollegen gemacht?“, dann wird man sich an keinen einzigen Fall erinnern können. Das gehört zur Wahrheit dazu. Wir müssen die ländlichen Häuser erhalten. Das tun wir; ich komme gleich dazu. Aber wir müssen uns auch ehrlich machen: Diese Häuser machen derzeit aus der Not geboren oft noch Eingriffe, die wir für uns dort nie vornehmen ließen.

Es ist übrigens nicht so, wie Sie sagen, Herr Lucha. Ich bin nicht derjenige, der für die Universitätsmedizin spricht. Ich bin Universitätsprofessor; dafür muss ich mich nicht schämen. Aber trotzdem ist es falsch, dass wir derzeit eine teure Universitätsmedizin unterhalten, die riesige Defizite macht. Jede Universitätsklinik in Deutschland macht Defizite. Wir hätten dort Raum, Qualität und auch den Bedarf, die schweren Fälle zu behandeln. Wieso machen wir das nicht? Wir machen das deshalb nicht, weil die kleinen Häuser zum Teil diese teuren Fälle brauchen, weil sie sonst pleitegingen. Das ist ein schlechtes System. Somit brauchen wir beides: die Spezialisierung und den Erhalt der kleinen Häuser.

Wie sieht diese Reform den Erhalt der kleinen Häuser vor? Immer wieder wird gesagt, das würde nicht gehen. Die kleinen Häuser bekommen Zuschläge für die Notfallversorgung, für die Traumatologie, also für Unfallversorgung, für die Intensivmedizin, für die Schlaganfallversorgung, für die Geburtshilfe, für die Kinderversorgung sowie vier weitere Sicherstellungszuschläge. Insgesamt zehn Zuschläge für die kleinen Häuser! Das wird die kleinen Häuser in die Lage versetzen, ohne die großen Eingriffe überleben zu können. Diese Zuschläge gibt es in der Form bisher nicht. Und wenn die Häuser dann immer noch nicht klarkommen, können sie umgewandelt werden in ein Level-1i-Klinikum. Dort gilt das Selbstkostendeckungsprinzip. Das heißt, die Krankenkassen verhandeln mit dem Haus, wie hoch die Kosten pro Tag sind, und diese werden dann erstattet. Somit haben wir im Gesetz ein Wiederbelebungsprogramm für die kleinen Häuser. Das darf man nicht ausspielen gegen die ebenfalls von uns unbedingt durchzusetzende Spezialisierung.

Der Kollege Weil ist Gott sei Dank noch da. So kann ich auf den einen oder anderen Punkt direkt antworten. Ich bin, ehrlich gesagt, dankbar, dass wir diese Gelegenheit haben. Zunächst einmal der wichtige Punkt: die Auswirkungsanalyse. Immer wieder ist betont worden: Wenn ich eine Auswirkungsanalyse machen will, brauche ich dafür den neuen Grouper, denn ich muss jeden Fall einer Klinik eingruppieren können. Das kann ich aber nur, wenn ich den Grouper habe. Der Grouper war immer für September angekündigt. Weshalb ist die Auswirkungsanalyse noch nicht da? Weil der Grouper noch nicht fertig ist. An dem Grouper arbeiten wir schon ein ganzes Jahr. Im September ist dann die Auswirkungsanalyse fertig.

Die Auswirkungsanalyse setzt übrigens voraus, dass die Länder ihre Leistungsgruppen zuteilen. Denn wenn die Leistungsgruppen nicht zugeteilt sind, dann kann ich nichts machen. Ich kann ja nicht eine Auswirkungsanalyse machen, wenn ich nicht weiß, was die Länder vorhaben. Wenn zum Beispiel in NRW, wo die Leistungsgruppen zugeteilt werden, der Grouper eingesetzt wird, kann dort die Leistungsgruppenanalyse vorgenommen werden. Dann habe ich im September sofort die Auswirkungsanalyse. Die anderen Länder müssen dann für sich die Leistungsgruppen zuweisen, gerne auch im kleinen Kämmerlein, geheim, wie auch immer. Das könnt ihr machen, wie ihr wollt. Dann seht ihr aber, welche Auswirkungen die Reform hat. Denn ihr bekommt dann den Grouper und weist die Leistungsgruppen zu. Dann sieht man, welche Konsequenzen das für die Kliniken hat. Aber das ist die Voraussetzung. Wir müssen den Grouper haben, und die Leistungsgruppen müssen durch die Länder zugewiesen werden, zumindest testweise. Anders ist das gar nicht machbar. Es wird dann auch keine Lücken im ländlichen Raum geben.

Ein sehr wichtiger Punkt ist: Wir brauchen Ausnahmen von den Qualitätskriterien für die Fachkrankenhäuser. Aber das ist schon mindestens 50-mal zugesagt worden. Weshalb ist das aber noch nicht im Gesetz? Weshalb ist das noch nicht in dem Entwurf? Weil ich auch schon 50-mal gesagt habe, dass ich das nur mit der Zustimmung der Fraktionen machen kann. Wir sind jetzt ins parlamentarische Verfahren gegangen. Ich habe gesagt, dass ich das für notwendig halte. Die Fraktionen finden das auch notwendig. Das werden wir machen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir das noch nie zugesagt hätten, dass wir noch nie darüber gesprochen hätten.

Viele von den Punkten der Länder finde ich richtig. Die würden wir als Bundesregierung mitmachen. Wir haben sie aber noch nicht aufgenommen, weil die Fraktionen gesagt haben: Das ist ein parlamentarisches Verfahren; wir wollen beteiligt sein. – Daher haben wir das nicht einbringen können. Es ist aber den Landesminister­innen und Landesministern schon oft gesagt worden, dass wir viele der Punkte richtig finden. Wir haben sie aber nicht übernommen, weil die Fraktionen wollten, dass sie an der Ausgestaltung dieser Maßnahmen beteiligt sind. Dazu zählen auch die Ausnahmen für die Fachkrankenhäuser.

Was den Transformationsfonds angeht – darauf hat Ministerpräsident Weil richtigerweise hingewiesen –, dürfen wir nicht die Länder bestrafen, die ihre Zusagen erhöht haben; das ist ganz klar. Darüber haben wir auch schon gesprochen. Wir werden eine Regelung finden, um die Ausgaben der Länder, die auf einem dauerhaften Pfad ihre Zusagen erhöht haben, bei den Investitionskosten zu berücksichtigen. Das ist eine Zusage, die ich hier noch einmal wiederhole. Darüber haben wir auch schon gesprochen.

Kollege Lucha sagte, das wäre doch zum Schluss anders als vorgetragen, es wäre doch wieder der 20-Prozent-Korridor. Die Leistungsgruppen könnten die Länder nicht wirklich zuteilen. Denn wenn sie sie zuteilen würden, dann wäre das nachher ein 20-Prozent-Korridor, dann wäre die Leistungsgruppe wieder weg. – Das war ja das Argument. Das ist einfach nicht richtig. Die Länder haben die Möglichkeit, entweder den 20-Prozent-Korridor plus/minus zu verwenden oder eine feste Zuteilung vorzunehmen. Das heißt, bei einem Land, das hingeht und sagt: „Ich teile ohne Korridor zu, ohne die 20 Prozent“, spielen die 20 Prozent überhaupt keine Rolle. Ein Land kann alle Leistungsgruppen ohne Korridor zuteilen. Es kann sich entscheiden, ob es für ein Haus eine Korridorzuteilung macht oder keine. Beides haben wir ermöglicht.

Kollegin Werner sagte, es gebe private Profiteure, Fehlanreize. Das ist ganz klar. Aber das war ja genau das Problem. Weil es so war, dass man mit Geburtshilfe, Kinderheilkunde, Notfallversorgung und Intensivmedizin Verluste gemacht hat, haben die Privaten diese Punkte abgestoßen und Gewinne gemacht. Das schaffen wir jetzt aber ab, indem es für diese Bereiche Zuschläge gibt.

Kollegin Nonnemacher, Sie sagen, auf die besondere Lage der Länder würde nicht eingegangen, insbesondere die Lage in Brandenburg sei nicht berücksichtigt worden. Das ist schlicht falsch. Es gibt in Brandenburg 27 Häuser, die den Sicherstellungszuschlag bekommen. Überhaupt gehen 60 Prozent der Mittel für den Sicherstellungszuschlag in die neuen Bundesländer ohne Berlin. Das ist der allergrößte Teil. Wenn ein Land von den Sicherstellungszuschlägen und darüber hinaus den Zuschlägen für die Bereiche, die ich eben genannt habe, profitiert, dann ist es Brandenburg. Mehr als jedes andere Bundesland! Kein Land hat auf die Bevölkerung bezogen so viele Sicherstellungshäuser, bekommt so viel von den gerade genannten Zuschlägen. Und dann haben wir auch noch eine Regel gemacht, wo den Universitätsprofessoren, die uns begleitet haben, die Tränen gekommen sind. Die haben geweint. Wir haben aber trotzdem folgendes geregelt: Die Häuser, die im Sicherstellungszuschlag sind, bekommen die Qualität bezahlt, selbst dann, wenn sie die Qualitätskriterien nicht erfüllen – und zwar dauerhaft. Das heißt, Ihre 27 Krankenhäuser bekommen die drei Fachärzte bezahlt, obwohl sie sie gar nicht haben, bekommen die Qualitätskriterien, die wir vereinbart haben, wo ich die Kooperation haben muss oder eine andere Fallgruppe, bezahlt, obwohl sie sie gar nicht haben müssen – und zwar dauerhaft. Wir haben uns entschieden, dass bei den Sicherstellungshäusern eine billigere Qualität besser bezahlt wird, weil wir diese Häuser unbedingt erhalten wollen. Daher ist kein Bundesland stärker positiv in der Auswirkungsanalyse bedacht worden als Brandenburg, weil sich hier der größte Teil der Sicherstellungshäuser befindet. Um es einfach zu machen: Die volle Qualität wird bezahlt, sie muss aber nicht nachgewiesen werden, und zwar ohne zeitliche Befristung. Das ist der Grund, weshalb die Wissenschaftler geweint haben, als wir das durchgesetzt haben.

Schließlich die Regelung mit den drei Fachärzten. Die drei Fachärzte sind nicht da. Wer von uns wollte zum Beispiel in eine Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie, wo nur zwei Fachärzte sind? Diese zwei Fachärzte dürfen übrigens in drei Leistungsgruppen gezählt werden. Das heißt, sie sind dann zum Teil auch noch in anderen Leistungsgruppen. Der eine ist in Urlaub, der andere ist noch da, die meiste Zeit werde ich dann vom Assistenzarzt behandelt. Ist das die Medizin, für die wir stehen? Die drei Fachärzte können in drei Leistungsgruppen gezählt werden. Das ist das absolute Minimum. Wenn wir davon absehen, dann können wir uns den Facharztstandard ganz sparen.

Frau von der Decken, bei der Überbrückungsfinanzierung tun wir, was wir können. Wir erhöhen die Landesbasisfallwerte, wir bezahlen rückwirkend die Tarife für 2024. Sie haben gesagt, wir hätten anderslautende Zusagen gemacht bezüglich dessen, was wir alles berücksichtigen werden. Ich habe gesagt, dass wir als Bundesregierung Ihre Punkte richtig finden und viele dieser Punkte auch berücksichtigen werden. Aber ich habe nie gesagt, dass ich das ohne die Fraktionen umsetzen kann, denn das ist kein Gesetz, das die Bundesregierung und die Länder machen. Vielmehr müssen die Fraktionen beteiligt werden. Daher habe ich gesagt, was ich richtig finde. Das waren meine Zusagen. Ich muss das aber auch verhandeln. Aber die Länder werden das zum Schluss machen.

Ich will zum Abschluss einen Vorschlag machen, denn ich glaube, so ein wichtiges Gesetz darf nicht scheitern, weil wir aneinander vorbeireden. Wir werden als Haus, als Bundesministerium für Gesundheit einen Jour fixe einführen, an dem jeder Landesminister und jeder Ministerpräsident teilnehmen kann. Es bedarf gar keiner Anmeldung. Im Abstand von zwei Wochen wird es einen Jour fixe geben. Denn ich möchte nicht, dass wir hier Missverständnisse haben. Diese Missverständnisse sind am besten auszuräumen, indem wir einen Jour fixe anbieten. Alle zwei Wochen gibt es einen Jour fixe. Die einzige Bedingung ist: zuständiger Landesminister oder Ministerpräsident, sodass das einigermaßen vertraulich bleibt. Dann können alle Fragen auch an mich direkt gewendet werden. Es ist eine wichtige Reform. Da waren jetzt auch ein paar konfliktreiche Sätze dabei und so weiter. Trotzdem glaube ich, dass die Zusammenarbeit mit den Ländern insgesamt besser ist als ihr Ruf. Ich glaube, dass wir das Gesetz gemeinsam beschließen können. Auch ich habe ein großes Interesse daran, auch die gesamte Bundesregierung, dass wir an einem Vermittlungsausschuss vorbeikommen. Dafür werden wir alles tun, was wir können. – Ich danke Ihnen für die vorzügliche Aufmerksamkeit.

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