Lauterbach: "Die langfristige Maßnahme, die Produktion nach Europa zurückzuholen, ist unbedingt notwendig."

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach spricht im Bundestag zum Gesetz gegen Lieferengpässe bei Medikamenten.

23. Juni 2023

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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit vielen Jahren beklagen wir Lieferengpässe bei der Arzneimittelversorgung, insbesondere in dem Bereich, wo die Patente keine Rolle spielen, bei nicht-patentgeschützten Arzneimitteln. Das hat vor zehn Jahren mit Aspirin angefangen; dann haben andere Schmerzmittel wie Ibuprofen gefehlt, dann Magensäurehemmer. Es ist immer mehr geworden. Jetzt fehlen um die 450 Wirkstoffe, und das ist mittlerweile eine unhaltbare Situation.

Immer wieder wurde versucht, durch Selbstverpflichtungen der Industrie, durch Abmachungen oder durch Transparenz das Problem zu lösen. Die Ehrlichkeit gebietet es, zu sagen: Vor einer gesetzlichen Regelung, auch mit Kostenfolgen, sind wir immer zurückgescheut. Das ist falsch gewesen; denn die Lage ist mittlerweile so, dass zum Teil Krebsmedikamente für Erkrankte, für Frauen mit Brustkrebs zum Beispiel, aber auch Antibiotika oder Medikamente für Kinder nicht erhältlich sind, obwohl sie zum Teil im Ausland noch erhältlich sind. Das ist eine Situation, die wir nicht hinnehmen können, und wir wollen sie jetzt ursächlich bekämpfen.

Das Gesetz hat im Prinzip drei wesentliche Anteile.

Zum einen. Bei Arzneimitteln für Kinder setzen wir die Festbeträge und Rabattverträge aus. Das wird bei Kinderarzneimitteln dafür sorgen, dass die Preise etwas steigen; aber dann werden die Kinderarzneimittel in Deutschland tatsächlich auch erhältlich sein, wenn sie im Ausland erhältlich sind. Wir werden die Lieferengpässe dort beseitigen können.

Für die Kinder ist es das Geld wert. Das kann diese Gesellschaft sich leisten. Wenn wir bei der Arzneimittelversorgung von Kindern sparen, ist das nicht ethisch. Es sind gerade die Kinder gewesen, die in der Coronapandemie die größten Opfer erbracht haben. Sie können wir jetzt nicht im Regen stehen lassen. Dieses Geld müssen wir in die Hand nehmen.

Zum Zweiten. Wir wollen, dass dort, wo wir Rabattverträge machen - Rabattverträge sind gut; sie helfen, sehr viel Geld zu sparen -, derjenige, der die Rabattverträge haben will, auch sicherstellen muss, dass er liefern kann. Da machen wir jetzt zur Voraussetzung, dass sechs Monate lang die Lieferbarkeit garantiert sein muss. Das heißt, wir werden hier eine Bevorratung von sechs Monaten haben. Wenn die Bevorratung über eine so lange Strecke geht, dann können die Firmen, die die Lieferbarkeit nicht garantieren können, den Rabattvertrag nicht bekommen, dann können wir ihn nicht anbieten. Somit werden wir dort den größten Teil des Problems mit einer simplen Maßnahme - sechs Monate Vorrat - erschlagen können.

Und zum Dritten. Langfristig müssen wir natürlich sicherstellen, dass die Produktion nach Europa zurückkommt. Da fangen wir mit den Antibiotika an, werden dann aber in Kürze auch bei den Krebsmedikamenten nachziehen. Derjenige, der den Rabattvertrag in diesem Bereich bekommt, muss nachweisen, dass die Hälfte der Produktion aus Europa kommt. Wenn wir dieses System über viele Jahre fahren, dann werden wir einen großen Teil der Produktion wieder nach Europa zurückgebracht haben.

Das ist wettbewerbskonform. Es kann sich jeder beteiligen; er muss dann eben nur an unterschiedlichen Standorten produzieren können. Das wirkt nicht sofort. Das ist aber langfristig eine unfassbar wichtige Maßnahme, um auch die Arzneimittelsicherheit in Deutschland und in Europa wiederherzustellen - eine Maßnahme, die übrigens von den europäischen Partnerländern beachtet und dort auch diskutiert wird. Damit kommen wir da ursächlich heran. Es muss möglich sein, dass Generika auch vergleichsweise preiswert in Europa produziert werden. Die langfristige Maßnahme, die Produktion nach Europa zurückzuholen, ist unbedingt notwendig.

Ich komme zum Schluss. Das Gesetz enthält noch andere Maßnahmen; wir werden es gleich noch hören. Ich will aber nur drei kurz erwähnen, die ganz wichtig sind.

Erstens. Jetzt ist es so, dass bei schlimmen Unfällen Notfallsanitäter oft nicht in der Lage sind, Betäubungsmittel einzusetzen, die die Schmerzen nehmen, weil das nur bei ärztlicher Präsenz gemacht werden kann. Daher erlauben wir es auch Notfallsanitätern, solche Betäubungsmittel einzusetzen. Das verbessert die Versorgung von Schwerstverunfallten.

Das ist eine unbedingt notwendige Maßnahme, die vor Jahren hätte kommen müssen.

Zweitens. Oft ist Cannabis die einzige Medizin, die noch wirkt. Da wollen wir die Zeit verkürzen, die jemand mit Rezept warten muss. Die Prüfung wird beschleunigt; medizinisches Cannabis ist dann schneller verfügbar.

Drittens. Es sterben zu viele Menschen, insbesondere auch junge Menschen, an Drogen, weil die Drogen verunreinigt sind, weil sie toxische Substanzen enthalten oder überdosiert sind. Durch das Drug-Checking werden wir die Zahl der Drogentoten reduzieren. Auch das ist eine wichtige Maßnahme.

Ich danke Ihnen daher für die guten Beratungen und bitte um Ihre Zustimmung.

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