Lauterbach: „Wir haben in unseren Krankenhäusern während der Pandemie nie die Triage praktizieren müssen. Es ist unser Ziel, dass dies so bleibt.“

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach spricht im Deutschen Bundestag bei der 1. Lesung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes.

13. Oktober 2022

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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über eine sehr wichtige Frage: die Frage nach der Triage im Rahmen der Infektionsschutzversorgung. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es Gott sei Dank so gewesen ist, dass diese zentrale Frage im Rahmen der Pandemiebewältigung bisher nie eine Rolle gespielt hat. Sie hat keine praktische Rolle gespielt, und dabei soll es auch bleiben.

Wir haben in unseren Krankenhäusern nie die Triage praktizieren müssen. Es ist auch unser Ziel, das weiter zu verhindern.

Ein Rückblick: Wir haben 2020/2021 erhebliche Belastungen in den Krankenhäusern gehabt. Wir haben es aber durch die Einführung des Kleeblattsystems zu jeder Zeit geschafft, die Patienten so in Deutschland zu verteilen und zu versorgen, dass es keinen einzigen mir bekannten Fall einer Triage im Rahmen der Versorgung von Covidpatienten gegeben hat. Das ist eine große Leistung unseres Gesundheitssystems, aber auch eine große Leistung der Pflegekräfte und der Ärzteschaft. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich bei allen, die dazu beigetragen haben, ganz, ganz herzlich auch im Namen der Bundesregierung bedanken.

Trotzdem müssen wir alles dafür tun, dass es auch so bleibt. Da müssen wir wachsam sein. Wir müssen die Pandemie weiter im Griff behalten. Es ist leider so: Die Pandemie ist nicht beendet, wie die Blicke auf den Pandemieradar jetzt zeigen. Wir haben derzeit steigende Fallzahlen. Wir haben eine Mehrbelastung erneut auf den Intensivstationen. Wir haben auch wieder mehr schwere Fälle; auch die Sterblichkeit steigt leider wieder. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass wir über den Winter andere Varianten bekommen, die uns vor neue Herausforderungen stellen.

Daher brauchen wir dieses Gesetz. Das ist ein Gesetz, bei dem wir immer hoffen, dass wir es nie anwenden müssen. Aber wir müssen es haben; denn wir müssen sicherstellen - das ist das Wichtigste, was wir mit diesem Gesetz verfolgen -, dass Menschen mit Behinderung und schweren Vorerkrankungen nicht wegen ihrer Behinderung oder wegen der Vorerkrankungen bei der Zuteilung von wichtigen lebenserhaltenden Versorgungsmaßnahmen benachteiligt werden. Das darf nicht passieren! Unsere Gesellschaft ist immer so menschlich, wie sie mit denjenigen umgeht, die die meisten Nachteile haben und die sich am wenigsten wehren können. Das sind die Menschen in akuter Not, die mit Behinderung, möglicherweise auch mit geistigen Schwierigkeiten, und mit Vorerkrankungen, unter denen sie schon genug gelitten haben, dann auch noch in eine solche Situation kommen, wo sie eine akute Versorgung benötigen. Da dürfen sie nicht benachteiligt werden wegen der Nachteile, die sie schon ihr ganzes Leben erleiden mussten. Das ist der Sinn dieses Gesetzes.

Wir haben daher hier Klarstellung und Rechtssicherheit geschaffen. Das ist die Essenz des Gesetzentwurfes: Niemand darf aufgrund einer Behinderung oder einer Vorerkrankung bei der intensivmedizinischen Behandlung benachteiligt werden. Das bedeutet: Jedes Leben hat für uns grundlegend die gleiche Bedeutung, die gleiche Berechtigung. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass das leider in dunklen Zeiten unserer Geschichte nicht der Fall gewesen ist. Daher ist es sehr wichtig, dass wir uns noch einmal vergewissern, wo wir hier stehen. Wir sind eine Gesellschaft, in der das Leben eines jeden gleich zählt. Das bringen wir hier auch zum Ausdruck, indem es keinerlei Benachteiligungen geben darf für Menschen mit Behinderungen, mit Nachteilen oder mit Vorerkrankungen, die sonst diese Möglichkeiten nicht hätten.

Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich bedanken für die kompetente Beratung und Diskussion, die wir mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Jürgen Dusel, geführt haben. Er hat uns in vielen Diskussionen einen Weg gewiesen, den wir gerne gehen, den wir gerne mitgehen. Ich möchte es hier sagen, dass wir dem Beauftragten ausdrücklich danken. Er hat die Perspektive der Menschen eingebracht, die auf der anderen Seite stehen, die diese Leistungen möglicherweise irgendwann benötigen werden. Daher möchte ich ihm danken für die aufklärende Sicht, die er hier einbringen konnte.

Wir wollen auch Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte haben. Es geht darum: Die Überlebenswahrscheinlichkeit, die vor der Behandlung besteht, darf nicht durch die Behinderung benachteiligende Effekte haben. Behinderung und Grad der Gebrechlichkeit dürfen keine Rolle spielen. Damit das auch funktioniert, haben wir das Mehraugenprinzip für die Entscheidung eingeführt; das ist vorgesehen. Wenn ein Mensch mit Behinderungen oder Vorerkrankungen betroffen ist, dann muss auch noch ein weiterer Experte, der sich mit dieser Erkrankung oder Behinderung auskennt, hinzugezogen werden. Somit haben wir ein Mehraugenprinzip und die Sicherstellung der notwendigen Expertise, sodass wir in der Regel klarkommen. Wenn es dann noch eine Uneinigkeit gibt, sind weitere Maßnahmen vorgesehen. Aber das Mehraugenprinzip mit der entsprechenden Expertise aus dem betroffenen Bereich sichert, dass das Ganze fair und gerecht abläuft. Das Ganze wird dann dokumentiert. Wir haben umfängliche Dokumentationspflichten eingeführt.

Ich schließe ab. Das ist ein klarer Kompass für unsere Gesellschaft. Der klare Kompass für unsere Gesellschaft bedeutet: In einer solchen Situation sind Behinderungen und Benachteiligungen, sind Vorerkrankungen kein Grund, die Versorgung nicht zu bekommen. Lassen Sie mich abschließend noch sagen: Es wird keine Ex-post-Triage geben.

Das heißt, derjenige, bei dem die Behandlung schon begonnen hat, kann sich darauf verlassen, dass die Behandlung auch fortgeführt wird, sodass niemand befürchten muss, dass die Behandlung abgebrochen wird, nur damit die Behandlungsplätze einem Dritten zuteilwerden. Das kann nicht angehen. Die Ex-post-Triage wird es bei uns nicht geben.

Ich danke Ihnen.

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