Lauterbach: „Wir lassen kein Kind zurück.“ Bieten Versorgung, die sie in dieser Krise benötigen.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach spricht in einer Aktuellen Stunde im Bundestag zum Thema „Krise in den Kinderkliniken – Fallpauschalen abschaffen und Kinder- und Jugendmedizin wiederaufbauen“

15. Dezember 2022

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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!

Die Lage in den Kinderkliniken gibt in der Tat allen Grund zur Sorge. Es ist eine Lage, wie wir sie in Jahrzehnten nicht gehabt haben. Die Kinder leiden unter dem RS-Virus. Es sind auch andere Infektionskrankheiten zu beobachten. Und das Personal fehlt. Es wird seit langer Zeit am Rande der Erschöpfung gearbeitet. Somit ist das eine Situation, wo wir von einer tatsächlich akuten Gefährdung der Versorgung der Kinder ausgehen müssen.

Leider ist die Situation in den Praxen nicht besser. Auch in den Praxen wird am Limit gearbeitet, auch dort gibt es Personalausfall. Und auch dort werden zahlreiche schwere Verläufe der RS-Viruserkrankung gesehen, die eigentlich stationär versorgt werden müssten, für die es aber keinen Platz gibt.

Wir haben sofort reagiert. Wir haben zunächst die Personaluntergrenzen ausgesetzt - nicht weil wir das Personal noch mehr belasten wollen, sondern wir wollen das Personal, das derzeit bei den Kindern eingesetzt werden kann, dort auch einsetzen. Das Personal muss flexibel einsetzbar sein. Hier geht es nicht darum - wie das immer wieder vorgetragen wird -, dass Pflegekräfte aus anderen Bereichen plötzlich komplizierte Kinderpflege machen sollen, beispielsweise in der Beatmung. Darum geht es nicht, überhaupt nicht!

Es geht um Folgendes: Auch in der normalen Kinderklinik bekommen Kinder eine Versorgung, die auch eine normale Pflegekraft machen kann, zum Beispiel nach einem Beinbruch, nach einer Blinddarmoperation oder nach einer Mandeloperation. Für diese einfacheren Fälle ziehen wir Pflegekräfte aus anderen Bereichen heran, sodass die Spezialpflegekräfte dort eingesetzt werden können, wo sie gebraucht werden.

Das wird von den Kliniken angenommen. Wir sind mit den Kliniken im direkten Kontakt, und wir bekommen auch die Rückmeldung. Das sind Maßnahmen, die funktionieren. Aber wir müssen mehr machen. Daher werden wir jetzt drei weitere Maßnahmen ergreifen.

Erstens. In den Praxen selbst soll sichergestellt werden, dass jede Leistung, die dort erbracht wird, zu festen Preisen bezahlt wird. Das heißt, dort werden die Budgets ausgesetzt. Jede zusätzliche Leistung, die erbracht wird, wird voll bezahlt, sodass hier nicht über Gebühr am Rande der Erschöpfung gearbeitet wird, und man das noch nicht einmal komplett bezahlt bekommt. Das schulden wir den Praxen. Daher setzen wir die Budgetierung für die Kinderkliniken und für die Praxen ab sofort aus.

Zum Zweiten möchte ich hier ankündigen: Wir wollen noch einen Schritt weitergehen. Zum jetzigen Zeitpunkt entscheiden sich zu wenige junge Fachärzte und Fachärztinnen dafür, Kinderheilkunde zu praktizieren. Um das Angebot, in der Kinderheilkunde in der Praxis zu arbeiten, attraktiver zu machen, werden wir eine Reform durchsetzen, mit der ab jetzt der Bereich der Kinderheilkunde dauerhaft von den Budgets in der Praxis ausgeschlossen wird. Somit kann dort dauerhaft zu festen Preisen praktiziert werden.

Derjenige, der sich für die Kinderheilkunde entscheidet - wir haben dort einen enormen Bedarf, der nicht zu decken ist -, wird von dem klassischen System der Budgets nicht mehr erfasst und kann allein auf der Grundlage medizinischer Überlegungen praktizieren. Wir setzen die Budgets in der Kinderheilkunde in den Praxen vollkommen und auch dauerhaft aus, sodass dieser Bereich attraktiver wird für junge Menschen, die sich den Kindern widmen wollen. Die Kinder verdienen eine budgetfreie und ökonomiefreie Versorgung, und das werden wir sicherstellen.

Drittens. Wir werden darüber hinaus mit sofortiger Wirkung Honorarkräfte, die in Krankenhäusern zusätzlich eingesetzt werden, über die Pflegebudgets abrechnen, sodass kurzfristig zusätzliche Honorarkräfte eingesetzt werden können und diese finanziert werden.

Alle drei Maßnahmen werden wir in der nächsten Woche in Gesetzesform vorlegen. Wir werden noch darüber hinausgehen: Wenn sich die Situation in den Kinderkliniken nicht verbessert, dann werden wir auch so weit gehen, dass wir in den anderen Bereichen der Erwachsenenmedizin die Eingriffe, die verschiebbar sind, absetzen, sodass sich eine Konzentration bei der Versorgung der Kinder aufbauen lässt.

Wir haben folgende Situation: Die Kinder haben in einer Lage, wo die Erwachsenen besonders gefährdet waren, zurückgestanden und Opfer erbracht. Jetzt ist die Situation umgekehrt. Jetzt brauchen die Kinder unsere Hilfe.

Daher werden wir alles tun, um diese Hilfe zu leisten. Dafür sind wir auch bereit, alle Eingriffe, die bei Erwachsenen verschiebbar sind - im Moment ist überhaupt die Frage, ob bei der Personalnot diese Eingriffe optimal durchgeführt werden können -, zur Not zu verschieben, um den Kindern alles anzubieten, was wir anbieten können. Wir lassen hier kein Kind zurück, und wir werden rechtlich so weit vorrücken, dass wir den Kindern grundsätzlich die Versorgung anbieten können, die sie in dieser Krise benötigen.

Ich möchte noch mal auf Folgendes hinweisen: Hier wird oft kritisiert, wir würden zu wenig machen, es käme zu spät. Wir arbeiten seit sechs Monaten an einer Krankenhausreform für die Kinder. Ab dem 1. Januar 2023 werden die Kinderkliniken aus dem Budget heraus sein. In einem Korridor von 80 bis 100 Prozent kann eine Klinik 80 Prozent der Leistungen bringen und bekommt 100 Prozent bezahlt. Das haben wir entbudgetiert.

Ich weise darauf hin: Daran haben wir sechs Monate gearbeitet. In diesen sechs Monaten, als es diese Krise noch nicht gab, haben wir weder von Ihnen auf der rechten Seite - da hätte ich es auch nicht erwartet -, aber auch nicht von Ihnen auf der linken Seite einen einzigen Vorschlag gehört, der sich nur auf die Kindermedizin bezogen hat. Es gab keinen einzigen Vorschlag!  Seit sechs Monaten arbeiten wir an dieser Reform. Hier sitzen die Besserwisser. Von Ihnen ist kein einziger Vorschlag gekommen.

Ich will es hier noch mal ganz deutlich machen: Wir werden auch in anderen Bereichen in diese Richtung gehen. Ich habe gesagt: Wir sind bei der Ökonomisierung unseres Gesundheitssystems zu weit gegangen. Wir werden das Fallpauschalensystem überwinden. Am 5. Januar werden wir einen Klinikgipfel haben. Bei diesem Klinikgipfel werden wir uns mit Vorschlägen beschäftigen, die unsere Expertenkommission vorgetragen hat, wo es um die Frage geht: Was kann man stattdessen machen? Dann werden 60 Prozent des Budgets über Vorhaltepauschalen und über die Pauschalen für Pflegekräfte bezahlt. Das heißt, die Krankenhäuser bekommen demnächst 60 Prozent ihres Budgets vollkommen unabhängig von den Fallzahlen.

Und diejenigen, die sagen, es solle für die Fallzahlen gar nichts mehr geben, müssen zu Ende denken.

Ich weiß, dass Sie das aufregt. Aber denken Sie zu Ende! Wenn die Fallzahlen gar keine Rolle spielen würden, dann könnten die Kliniken das Geld mitnehmen, ohne dass überhaupt behandelt würde. Das will natürlich auch niemand. Wir wollen jetzt eine Entökonomisierung. Uns haben Sachverständige aus der Pflege, aus den Krankenhäusern, aus der Ökonomie beraten, die wir gebeten haben: Macht kluge Vorschläge, damit wir dieses ökonomische System überwinden! Das sind kluge Vorschläge.

Wir werden darüber hinaus in der nächsten Woche zu den Lieferengpässen ebenfalls drei Vorschläge vorbringen, wo es darum geht, dass wir die Rabattverträge ein Stück weit adjustieren. Das sind Gesetze, die bei Ihnen liegen geblieben sind, Herr Sorge. In Ihrer Fraktion. Das sind Nachholgesetze. Ich habe Sie bisher geschont. Aber wir müssen diese Arbeit machen. Weder bei der Krankenhausreform noch bei der Reform zur Vermeidung von Lieferengpässen kann ich auf Reformen zurückblicken, die Sie gemacht hätten. Daher werden wir diese Vorschläge einbringen. Ich bitte Sie um konstruktive Unterstützung.

Abschließend möchte ich mich bei dem Personal, bei den Pflegekräften und bei den Ärztinnen und Ärzten bedanken, die die Arbeit leisten. Wir werden Sie unterstützen, wo auch immer wir können. Darauf können Sie sich verlassen.

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