Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gibt eine Regierungserklärung zur Bekämpfung des Coronavirus ab
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Aus der Coronaepidemie in China ist eine weltweite Pandemie geworden. In Europa gibt es inzwischen mehr als 3 000 bestätigte Infektionen, bei uns in Deutschland 240, die meisten in Nordrhein-Westfalen. Die Bundesregierung und die Landesregierungen, das Robert-Koch-Institut und die kommunalen Behörden haben in den letzten Wochen täglich über den Stand der Dinge informiert. Wir werden weiterhin jeden Tag sagen, was wir wissen, aber auch, was wir noch nicht wissen. Wir nehmen die Situation sehr ernst. Wir arbeiten jeden Tag daran, diese Situation gemeinsam gut zu bewältigen. Alle Beteiligten in den Ländern und vor Ort leisten einen enormen Einsatz.
Nach dem Ausbruch in China im Januar haben wir alle Kräfte mobilisiert, um zu verhindern, dass das Coronavirus nach Deutschland kommt. Dafür haben wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Bürgerinnen und Bürger zentral in Quarantäne genommen. Bis vergangene Woche konnten alle Fälle in Deutschland auf eine Ansteckung im Ausland zurückgeführt werden. Betroffene und Kontaktpersonen wurden rasch isoliert. So ist es uns über Wochen hinweg gelungen, eine Ausbreitung zu verhindern. Bis Anfang letzter Woche gab es 16 infizierte Patienten in Deutschland, von denen 14 bereits wieder gesund zu Hause waren.
Seit vergangener Woche befinden wir uns in Deutschland und in Europa jedoch in einer neuen Lage. Nach zahlreichen weltweiten Infektionen und dem starken Ausbruch in Südkorea, Japan, dem Iran und Norditalien hat auch in Deutschland eine Epidemie begonnen. Die Quarantänemaßnahmen der letzten Wochen waren dennoch sinnvoll. Sie haben uns wertvolle Zeit gebracht.
Wir wissen jetzt mehr über das Virus als noch im Januar. Anfangs gab es etwa die Vermutung, dass ähnlich wie bei den bekannten SARS-Viren vor allem die unteren Lungenflügel betroffen wären. Nun hat sich herausgestellt, dass die Viruslast besonders im Rachenraum sehr hoch ist. Das macht für die Frage der Ansteckungswahrscheinlichkeit und damit für die Beurteilung des Risikos einen großen Unterschied.
Wir können uns hier in Deutschland auf Expertinnen und Experten stützen, die zu den besten und angesehensten in der Welt gehören. Der erste Test zum sicheren Nachweis einer Coronainfektion wurde frühzeitig hier in Deutschland entwickelt und an unsere weltweiten Partner gegeben.
Nach allem, was wir heute wissen, verläuft die übergroße Mehrheit der Infektionen symptomfrei bis milde. Der Erreger ist deutlich weniger ansteckend als zum Beispiel der von Masern. Noch kann aber niemand eine abschließende Beurteilung und Bewertung des Virus abgeben. Dafür gibt es weltweit noch nicht genug Daten.
Die Situation ist weiterhin sehr dynamisch. Gut vorbereitet sein heißt, auf Entwicklungen flexibel reagieren zu können. In den betroffenen Regionen stehen alle Akteure gerade unter großem Druck. Natürlich sind noch nicht alle Abläufe eingespielt. Daran arbeiten alle Beteiligten mit großer Kraft und Dringlichkeit. Es dauert teilweise noch zu lange, bis Verdachtsfälle getestet werden. Darüber habe ich gerade erneut im Ministerium mit Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenhäuser gesprochen.
Wir analysieren die Lage laufend und stellen auftretende Probleme so schnell wie möglich ab. Wir gehen transparent vor und halten uns an den Dreiklang aus wissenschaftlicher Expertise, sorgsamer Abwägung und entschlossenem Handeln. Es wird immer wieder darum gehen, die richtige Balance zu finden, zwischen einerseits notwendigen Einschränkungen zur Eindämmung des Virus und andererseits unserem Alltag, der weitergeht.
Fest steht: Der Höhepunkt der Ausbreitung ist noch nicht erreicht. Die Lage in unserem Land ist sehr unterschiedlich. Im Kreis Heinsberg ist sie aktuell eine andere als etwa in der Hansestadt Rostock. Unsere Strategie ist weiterhin, die Ausbreitung von Corona innerhalb Deutschlands und in den betroffenen Regionen zu verlangsamen und einzudämmen. Schon jetzt kommt es dabei zu Einschränkungen des Alltags, weil öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Kitas zeitweise geschlossen bleiben oder weil Großveranstaltungen, etwa mit internationalem Publikum, von den zuständigen Behörden abgesagt werden. Dabei gilt immer der Grundsatz: Die Sicherheit der Bevölkerung geht im Zweifel vor, auch vor wirtschaftlichen Interessen.
Ich will auch offen sagen, wie eine mögliche nächste Stufe aussehen kann. Unser Fokus wird dann darauf liegen, unsere Kapazitäten auf Patienten zu konzentrieren, bei denen schwerere Krankheitsverläufe auftreten. Die Abläufe in den Kliniken und Praxen werden dann entsprechend angepasst und die Kräfte im Gesundheitswesen auf die akute Lage fokussiert. Das wird stellen- und phasenweise auch zu Stress im System führen. Planbare medizinische Eingriffe werden dann verschoben. Die große Mehrheit der Infizierten mit gar keinen oder leichten Symptomen wird dann gebeten, sich zu Hause auszukurieren.
Noch sind wir nicht an diesem Punkt. Niemand kann heute seriös sagen, wann er kommt. Aber mir ist wichtig, klar zu sagen, was kommen kann, damit wir alle darauf vorbereitet sind. Ich habe großes Vertrauen in unsere Experten, Ärzte und Pfleger.
Während der schweren Grippewelle 2017/18 kam es nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts zu etwa 9 Millionen zusätzlichen influenzabedingten Arztbesuchen hier bei uns in Deutschland. Unser Gesundheitssystem hat das bewältigt.
Corona führt als Atemwegserkrankung zu Symptomen wie Niesen und Husten, Fieber und Schnupfen und, bei schwererem Verlauf, zu Lungenentzündungen. Insbesondere eine mögliche Lungenentzündung stellt dabei für chronisch kranke, alte oder gebrechliche Patienten ein hohes Risiko dar. Gleichwohl sind das alles Symptome und Krankheitsverläufe, wie sie in Deutschland jeden Tag vielfach behandelt werden. Daher können Bürgerinnen und Bürger mit schwereren Verläufen darauf vertrauen, dass sie mit der nötigen Expertise behandelt werden.
Für uns als Gesellschaft ist die aktuelle Lage eine große Herausforderung. Die Folgen von Angst können weit größer sein als die des Virus selbst.
- Ja. - Deshalb ist es gut, dass die Bundesbürgerinnen und -bürger bis auf wenige Ausnahmen sehr besonnen reagieren. Ja, ein Virus, mit dem wir keine Erfahrung haben, ist beunruhigend. Ja, die Bilder aus China waren beunruhigend. Vergangene Woche haben sich deshalb manche mit haltbaren Lebensmitteln und Toilettenpapier eingedeckt; einige Supermarktregale waren deshalb vorübergehend leer. Jetzt sind die meisten Regale schon wieder aufgefüllt.
Ich sage das nicht, um Ängste und Sorgen beiseitezuwischen, sondern um die Lage einzuordnen. Angst und Sorge nicht nur um sich selbst, sondern auch um Menschen, die einem wichtig sind, sind eine zutiefst menschliche Reaktion. Ja, wir haben wenig Erfahrung mit dem Virus, aber wir haben als Gesellschaft viel Erfahrung mit allen möglichen Gefahren. Aus unserem persönlichen Alltag wissen wir: Mit einem kühlen Kopf können wir Herausforderungen am besten bewältigen. Das gilt auch für den Umgang mit dem Coronavirus.
Mein Ziel ist, die Bürgerinnen und Bürger zu bestärken, nicht, sie einfach zu beruhigen. Bleiben Sie weiter besonnen. Informieren Sie sich aus zuverlässigen Quellen wie infektionsschutz.de. Strafen Sie diejenigen, die versuchen, Angst und Falschmeldungen zu verbreiten, mit Nichtbeachtung.
Es wird immer Einzelne geben, die aus einer solchen Lage Kapital schlagen wollen, durch windige Geschäfte mit überteuerten Schutzmasken zum Beispiel. Manche wollen auch einfach Misstrauen gegenüber unseren Institutionen schüren oder Stimmung machen, um politisch zu profitieren.
Hier im Bundestag und in der Zusammenarbeit mit den Ländern erlebe ich alle politisch Beteiligten als sehr konstruktiv. Es ist sicher eine unserer größten Stärken in der Demokratie, im Ernstfall gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Ich stehe im regelmäßigen Austausch mit den Gesundheitspolitikern aller Parteien im Bundestag. Für den sachlichen und konstruktiven Austausch, auch am Montag im Ausschuss für Gesundheit, bin ich den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, sehr, sehr dankbar. Ich erlebe, dass alle ein Interesse daran haben, diese Situation gemeinsam und besonnen zu bewältigen.
Die Bundesregierung und die Länder ergreifen alle Maßnahmen, die sinnvoll und angemessen sind. Wir stimmen uns eng mit unseren europäischen und internationalen Partnern ab: in der wöchentlichen Schalte der Gesundheitsminister der G 7 ebenso wie übermorgen beim zweiten Treffen der EU-Gesundheitsminister innerhalb von zwei Wochen in Brüssel.
Im Anschluss an diese Debatte habe ich erneut die Gesundheitsminister aller Bundesländer zum Gespräch eingeladen. Ja, Corona ist auch eine Herausforderung für den föderalen Staat; aber gerade in Krisenzeiten zeigt dieser seine Stärke. Unsere Experten vom Robert-Koch-Institut unterstützen fachlich. Aber es ist richtig, dass wir nicht von Berlin aus darüber zu entscheiden haben, ob in Heinsberg oder anderswo eine Schule zeitweise geschlossen wird.
Besonders hervorheben will ich den Einsatz unseres medizinischen Personals. Alle, die für unsere Gesundheit im Einsatz sind, stehen im Kampf gegen Corona an vorderster Front. Sie reagieren besonnen, informieren sich über die aktuellsten Erkenntnisse und kümmern sich mit großem Einsatz um ihre Patienten. Dafür möchte ich ihnen danken!
Sie sind auch die ersten, die merken, wenn etwas nicht so läuft, wie es eigentlich laufen soll. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich melden, wenn es Probleme gibt. Sie sind auch diejenigen, die Schutzkleidung und Desinfektionsmittel für ihre Arbeit brauchen. Alle anderen brauchen diese im Alltag nicht; da sind unsere Experten sehr klar.
Gerade kaufen weltweit Regierungen, Krankenhäuser und Privatpersonen Schutzkleidungen auf Vorrat. Gleichzeitig steht in China die Produktion teilweise still. Deshalb kommt es auch hier bei uns in Deutschland zu Knappheiten. Daher gilt seit heute 11 Uhr eine Ausfuhrbeschränkung für Schutzkleidung. Insbesondere Schutzmasken und -anzüge werden seitens des Bundes, einiger Länder und Akteure des Gesundheitssystems kurzfristig beschafft und bevorratet werden.
Grundsätzlich braucht es übrigens aus meiner Sicht - unabhängig von dieser aktuellen Debatte - eine andere, grundsätzlichere Debatte: Sollten wir in diesem Umfang wirtschaftlich und in unseren Lieferketten von einem einzigen Land auf der Welt abhängig sein? Ich denke: nein.
Alle Bürgerinnen und Bürger können ihren Beitrag im Kampf gegen Corona leisten. Auch wenn es manch einer vielleicht nicht mehr hören kann: Einfache Verhaltensregeln machen einen Unterschied: regelmäßiges Händewaschen, nach Möglichkeit nicht mit ungewaschenen Händen ins Gesicht fassen, in die Armbeuge oder ein Taschentuch husten. - Das ist nicht banal, das ist wichtig.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn das sind die Maßnahmen, die mithelfen, die Verbreitung des Virus effektiv zu bekämpfen und die Schwächsten zu schützen.
Wer sich krank fühlt oder mit einem Erkrankten Kontakt hatte, sollte schnell den Hausarzt anrufen und nicht einfach in die Praxis gehen.
Und - auch das sei erwähnt - es gibt auch gute Nachrichten in diesen Tagen: Seit zwei Wochen ist die erfasste Zahl der weltweit genesenen Patienten höher als die Zahl der Neuinfizierten.
Gleichwohl: Die nächsten Tage und Wochen werden für uns herausfordernd sein. Es wird in den betroffenen Regionen zu Einschränkungen im Alltag kommen. Das kann und das wird Stress auslösen. Wir alle nehmen wahr, dass Wut, Misstrauen, teilweise auch Aggressionen zu oft unsere öffentlichen Debatten bestimmen. In der aktuellen Lage wird es deshalb umso wichtiger sein, dass wir besonnen bleiben, dass wir zusammenhalten und dass wir bereit sind, einander auch unter Stress zu vertrauen.
Vielen Dank.