Ein integrativer Ansatz für eine hausärztlich koordinierte bedarfsgerechte Versorgung bei postviralen Erkrankungen und ME/CFS zur Verbesserung der Teilhabe (GRACI)
Ressortforschung im Handlungsfeld „Gesundheitsversorgung“, Querschnittsthema „Long-/Post-COVID“, Förderschwerpunkt „Erforschung und Stärkung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von COVID-19 (Long COVID)“
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Projektleitung
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Dr. Josefine Schulze
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Projektlaufzeit
15.11.2024 bis 31.10.2028
Das Projekt ist Teil des Förderschwerpunkts „Long-/Post-COVID“.
Projektbeteiligte
- Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm
Motivation
Die Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion betreffen einen erheblichen Teil der deutschen Bevölkerung. Postinfektiöse Syndrome nach anderen Viruserkrankungen sind seit langem bekannt und können mit erheblichen negativen Folgen für die Lebensqualität und die berufliche und soziale Teilhabe der Betroffenen einhergehen. Bei unzureichender Versorgung bedeutet dies nicht nur erhebliche negative wirtschaftliche Auswirkungen für den Einzelnen, sondern auch für die Solidargemeinschaft.
Bei der Behandlung von Langzeitfolgen nach Viruserkrankungen wie einer SARS-CoV-2-Infektion spielen Hausärztinnen und Hausärzte eine zentrale Rolle. Sie sind meistens die erste Anlaufstelle für Betroffene, führen die initiale Diagnostik durch und leiten notwendige therapeutische Maßnahmen ein. Darüber hinaus sind sie auch dafür verantwortlich, weiterführende Schritte wie Rehabilitationsmaßnahmen zu veranlassen. Die Diagnosestellung gestaltet sich schwierig, da es bislang keine etablierten diagnostischen Marker und Kriterien gibt, und objektivierbare Befunde und beschriebene Symptomschwere häufig auseinandergehen. Diese hohe Komplexität erfordert eine umfangreiche Diagnostik und die Einbindung verschiedener medizinischer Fachdisziplinen. Dadurch kommt es in der ambulanten Versorgung oft zu Verzögerungen. Für Hausärztinnen und Hausärzte ist es zudem eine große Herausforderung, einen individuellen Behandlungsplan zu entwickeln. Das liegt daran, dass es an wissenschaftlichen Nachweisen für wirksame Therapieansätze fehlt und viele Ärztinnen und Ärzte nur begrenzte Erfahrung in der Behandlung des Krankheitsbildes haben. Zugleich berichten Patientinnen und Patienten von der Erfahrung mangelnder medizinischer Versorgung und Anerkennung ihres Krankheitsbildes.
Ziele und Vorgehen
Das Projekt GRACI zielt darauf ab, eine bedarfsgerechte Versorgung für Patientinnen und Patienten mit postviralen Erkrankungen und ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) zu unterstützen. Ziel ist eine verbesserte soziale und berufliche Teilhabe von Patientinnen und Patientinnen. Hausärztinnen und Hausärzte sollen mithilfe einer strukturierten elektronischen „Toolbox“ beim Diagnoseprozess und bei der schweregradorientierten Auswahl von Therapien unterstützt werden. Dies umfasst den ambulanten und stationären Bereich sowie die Rehabilitation. Die Toolbox wird gemeinsam mit Beiräten, bestehend aus Experten und Expertinnen verschiedener Fachrichtungen sowie Patientenvertreterinnen und Patientenvertretern, und auf Basis der einschlägigen Literatur entwickelt. Besondere Bedeutung bei der Entwicklung der Toolbox wird den Bedürfnissen von Betroffenen und Beschäftigten in Medizinberufen beigemessen und gesellschaftliche Kontextfaktoren einbezogen. Die Toolbox soll im Rahmen eines kontrollierten Modellprojekts von Hausärztinnen und Hausärzten in Nord- und Süddeutschland im Versorgungsalltag erprobt werden. Dabei sollen die Ergebnisse aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: So werden die von den Patientinnen und Patienten berichteten gesundheitlichen Endpunkte, die Erwerbsprognose und die Inanspruchnahme von Gesundheits- und Rehabilitationsleistungen analysiert. Darüber hinaus werden in einer begleitenden Prozessevaluation Erfahrungswerte wie z.B. der Nutzen, die Anwendbarkeit und Möglichkeiten der Optimierung erfasst.
Perspektiven für die Praxis
Die Toolbox ist die erste ihrer Art, die Hausärztinnen und Hausärzte bei der Versorgung der Zielgruppe unterstützt. Bei möglichen Unsicherheiten in Diagnostik und Therapie kann sie eine bessere Orientierung bieten und das gegenseitige Vertrauen in die Arzt-Patient-Beziehung stärken. Bei positiven Ergebnissen hat sie das Potenzial, Über-, Unter- und Fehlversorgung zu reduzieren, d. h. eine zielgerichtete bedarfsgerechte Versorgung zu gewährleiten und die Inanspruchnahme von passgenauen Angeboten zu beschleunigen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um die individuelle Situation erkrankter Personen zu verbessern und langfristige gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Darüber hinaus leisten eine bedürfnisorientierte hausärztliche Betreuung und dem Krankheitsbild entsprechende Versorgungsstrukturen einen entscheidenden Beitrag für die Anerkennung und Sichtbarkeit postinfektiöser Syndrome in Medizin und Gesellschaft.