Spahn: „Begründete Zuversicht in schwerer Zeit, das ist die Botschaft, die dieser Haushalt gibt“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht im Bundestag zum Etat seines Ministeriums für 2020
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind in einer schwierigen Phase dieser Pandemie. Wir haben mit den Maßnahmen seit Anfang November einen Teilerfolg, aber eben nur einen Teilerfolg erzielt. Es ist gelungen, die Dynamik zu brechen, vor allem auch die Dynamik auf den Intensivstationen, in den Klinken, wo sich im Oktober alle 10 Tage die Patientenzahl verdoppelt hatte. Aber seitdem sehen wir bei den Zahlen eine Seitwärtsbewegung auf zu hohem Niveau, und wir sehen jetzt auch in bestimmten Regionen starke Anstiege.
Das ist im Moment das Schlechteste aus drei Welten: Wir haben in der Folge zu hohe Infektionszahlen, zu hohe Zahlen von Patienten auf den Intensivstationen und vor allem beklagenswert hohe Zahlen an Todesfällen. Wir haben gleichzeitig sehr hohe Kosten. Die November- und die Dezemberhilfe zur wirtschaftlichen Stabilisierung und zum Erträglichermachen der Maßnahmen alleine kosten bis zu 40 Milliarden Euro. Und wir erleben eine Ermüdung bei vielen Bürgerinnen und Bürger nach jetzt fünf, sechs Wochen dieser Beschränkungen.
Wir sehen: Mit dem, was jedenfalls im Moment ist, erreichen wir unser gemeinsames Ziel nicht. Es braucht entschlossenes staatliches Handeln und bürgerliche Eigenverantwortung. Entschlossenes staatliches Handeln, das heißt, dass es in den Regionen, die eine sehr hohe Inzidenz, sehr hohe Infektionszahlen haben, zusätzliche Maßnahmen über das, was für das ganze Bundesgebiet zwischen Bund und Ländern vereinbart ist, hinaus braucht, genauso wie Sachsen und Bayern und andere Regionen es machen. Es ist übrigens seit Frühjahr das vereinbarte Vorgehen in den Regionen mit erhöhten Inzidenzen, eben auch zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen.
Es braucht insgesamt ein Herunterfahren in der Gesellschaft - für uns alle, auch über den Jahreswechsel. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; aber ich glaube, den meisten Bürgerinnen und Bürgern geht es so, dass gerade die Zeit rund um den Jahreswechsel eh mit die ruhigere, wenn nicht die ruhigste im Jahr ist. Das ist wahrscheinlich auch eine Zeit - nicht für alle, aber für viele -, in der ein zusätzliches Runterfahren, zusätzliches Einschränken - die Schulen sind geschlossen - dann auch möglich und richtig ist. Aber das heißt eben nicht - wenn wir darüber reden, richtigerweise -, dass man bis dahin noch mal alles ausreizt. Vielmehr müssen wir auch bis dahin aufeinander aufpassen.
Und da bin ich neben dem staatlichen Handeln bei der bürgerlichen Eigenverantwortung: Aufeinander achtgeben heißt, im Alltag AHA-Regeln beachten, um sich selbst, aber vor allem um die anderen zu schützen. Das bleibt der Schlüssel zum Erfolg.
Ich weiß, dass manch einer sagt - ich kriege das ja auch immer zurückgespiegelt -: „Ich kann es bald nicht mehr hören: aufeinander achtgeben“, und fragt: „Wann ist denn mal gut?“ Aber es ist eben noch nicht gut, noch nicht gut genug, und es gibt - jedenfalls im Moment - kein besseres Mittel, das wir haben. Wir sind darauf angewiesen.
Diese Erwartungshaltung in Bezug auf staatliches Handeln: „Die Regierung, die Ministerpräsidenten, die müssten mal was beschließen, und dann wird es von alleine wieder besser“, wird nicht funktionieren. Es wird nur funktionieren, wenn wir möglichst gut alle aufeinander aufpassen. Es braucht eben die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die mitmachen - und die machen mit; das ist ja das Entscheidende.
Wir fokussieren in den Diskussionen - ich will mich da gar nicht ausnehmen - manchmal auf die Bilder, bei denen wir dann auch eher irritiert sind. Aber die allermeisten Bürgerinnen und Bürger machen mit. Die Zustimmung zu den Maßnahmen ist noch mal gestiegen. Die Zustimmung zu diesem Weg steigt in diesen Tagen noch weiter. Wir sehen einen großen Zusammenhalt. Das Land steht patriotisch zusammen.
Ich will Ihnen eines sagen: Sie reden immer viel über Patriotismus. Patriotisch zu sein hieße in dieser Zeit, den Zusammenhalt zu fördern. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin unbedingt für Kritik. Es braucht Kritik, damit wir in dieser schwierigen Zeit besser werden können; aber Sie spalten, Sie diffamieren, Sie verbreiten Verschwörungstheorien. Genau das ist Ihnen in dieser schweren Zeit vorzuwerfen.
Dieses gemeinsame Agieren und Handeln setzen wir auch mit den Schwerpunkten im Haushalt um. Im nächsten Jahr haben wir den zweitgrößten Haushalt in der Geschichte des Bundesministeriums für Gesundheit, in diesem Jahr ist es der größte. Es hätte dafür bessere Anlässe geben sollen und müssen, bildet aber die besondere Herausforderung in dieser Pandemie ab. Dazu gehört vor allem die Unterstützung des Gesundheitswesens mit den FFP2-Masken, die wir zentral beschafft haben für die Krankenhäuser, die Länder, die Praxen; in diesen Tagen werden noch einmal zusätzlich 90 000 Pakete an alle Pflegeeinrichtungen, stationär und ambulant, versandt. Dazu gehören aber auch die FFP2-Masken für die Bürgerinnen und Bürger. 2,5 Milliarden Euro für 400 Millionen FFP2-Masken werden in den nächsten Wochen ausgegeben. Das ist in dieser schweren Zeit eine klare Unterstützung für die besonders Verwundbaren.
Dazu gehören auch die Freihaltepauschalen, der Schutzschirm für die Kliniken, damit sie sich vorbereitet konnten, was sie auch getan haben.
Um noch ein Beispiel zu nennen, weil es angesprochen wurde: die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Das Robert-Koch-Institut setzt seit Monaten gemeinsam mit dem Ministerium wichtigste und größte digitale Projekte um. Das gelingt mit eigenem Personal, aber natürlich auch mit Unterstützung von Dienstleistern von außen. Wir freuen uns auch über jede zusätzliche Stelle. Aber es ist nicht so, als hätten wir beim Digitalisieren des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in den letzten drei Monaten nicht mehr geschafft als in den zehn Jahren zuvor, weil es über Jahre Blockaden gegeben hat. Stand heute erfolgen etwa 50 Prozent der SARS-CoV-2-Meldungen digital, also elektronisch und nicht mehr per Fax, und ab dem 1. Januar verpflichtend zu 100 Prozent. Wir haben bei einem Thema, das seit zehn Jahren im Gesetz steht, in drei Monaten mehr erreicht als in zehn Jahren. Das heißt: So hart diese Krise ist, wir nutzen sie auch für die Digitalisierung des Gesundheitswesens.
Wir stabilisieren die Lohnnebenkosten - das ist ein zweiter großer Block in der Krise - mit einem Bundeszuschuss in Höhe von 5 Milliarden Euro zusätzlich.
(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das könnte ja besser sein!)
- Ja, Frau Hajduk, ich habe darauf gewartet, dass auch noch die Auflösung dessen kommt, was Sie gesagt haben. Ich verstehe Ihre Kritik. Aber was daraus folgen soll, ist mir noch nicht deutlich geworden.
Wir haben uns jedenfalls in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit entschieden, die Beitragszahler nicht zusätzlich zu belasten.
Wir halten die Lohnnebenkosten stabil, damit wir in Deutschland Arbeitsplätze sichern. Genau das machen wir. Deswegen finanzieren wir dies so, wie wir es vorgeschlagen haben.
Das Dritte ist die Beschaffung der Impfstoffe. Das ist mit über 2,5 Milliarden Euro teuer, aber im Vergleich zu allem, was wir in dieser Pandemie sonst aufwenden müssen als Schlüssel zur Beherrschung dieses Virus, doch etwas, was sich gut darstellen lässt.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Herr Spahn, erlauben sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage von Frau Hajduk?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
Gerne.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister, danke für die Gelegenheit, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen. - Es ist richtig, dass ich jetzt noch nicht skizziert habe, wie wir die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vornehmen würden. Ich habe nur angedeutet, dass ich glaube, es müsse breiter und solidarischer - zwischen GKV und PKV - im Rahmen einer Bürgerversicherung geschehen. Aber finden Sie es denn richtig, dass von den 8 Milliarden Euro jenseits der Rücklage nur 5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt kommen und dass 3 Milliarden Euro die Beitragszahler schultern? Ich hätte es besser gefunden, 8 Milliarden Euro als Bundeszuschuss zu nehmen statt 3 Milliarden Euro von den Beitragszahlern zu fordern; denn bei Kinderlosen sind Sie bezüglich der Sozialgarantie schon über den 40 Prozent. Deswegen möchte ich Sie fragen: Finden Sie diese Aufteilung wirklich richtig? Ich hatte aufgrund Ihrer Äußerungen einen anderen Eindruck gewonnen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
Frau Hajduk, natürlich hätte man bei den einzelnen Summen noch eine Verschiebung vornehmen können. Grundsätzlich haben wir aber gesagt: Wir nehmen eine Lastenteilung für alle drei genannten Bereiche vor. Wir stellen aber sicher, dass die Lohnnebenkosten nicht über 40 Prozent steigen. Ich will aber auch sagen - das gilt auch für Diskussionen, die wir gerade mit dem Bundesrat führen -: Die Rücklagen der Krankenkassen sind wie bei der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung für schlechte Zeiten da. Wir haben jetzt zehn Jahre gute Zeiten gehabt, deswegen konnten Rücklagen gebildet werden. Jetzt sind schlechte Zeiten, und deswegen ist es richtig, auch Rücklagen einzusetzen, um die Beiträge stabil zu halten.
Zurück zur Beschaffung der Impfstoffe für über 2,5 Milliarden Euro. Wir bereiten uns mit Hochdruck vor - Bund, Länder und die Verantwortlichen vor Ort - und wollen ab Mitte dieses Monats einsatzbereit sein. Einige sagen schon: Jetzt habt ihr die Impfzentren fertig, aber der Impfstoff verzögert sich etwas. - Das stimmt, aber das ist besser als andersrum: Der Impfstoff ist da, und die Impfzentren sind noch nicht einsatzbereit. - Insofern haben wir gesagt: Wir, Bund und Länder, wollen frühestmöglich einsatzbereit sein, um impfen zu können. Das ist am Ende auch etwas, was Zuversicht gibt. Es wird so schnell wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte einen Impfstoff geben bei einem neuen Virus. Das zeigt: Impfen ist Fortschritt. Impfen ist der Weg aus dieser Krise. Ja, Sie haben recht: Das ist gelungen mit staatlicher Unterstützung, mit Forschungsförderung, mit der Förderung des Produktionsaufbaus, auch durch den Steuerzahler. Aber weil Impfen der Weg aus dieser Krise ist, ist es gut, zu sehen, dass wir mit staatlicher Unterstützung und Forschungsförderung aus Deutschland heraus einen Schlüssel für die ganze Welt gefunden haben.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt geht es miteinander darum, in diesen schwierigen Wochen durchzuhalten. Es wird noch einmal schwer - ja, es wird noch einmal spürbar schwerer, bevor es besser wird -; aber wir dürfen sicher sein, dass es besser wird. Begründete Zuversicht in schwerer Zeit - das ist die Botschaft, die genau dieser Haushalt gibt.