Lauterbach: "Wir brauchen die Krankenhausreform, und zwar jetzt."
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach spricht im Bundestag bei der 2./3. Lesung des Entwurfs eines Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes.
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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Nach zweieinhalb Jahren Beratungen stimmen wir heute über ein sehr wichtiges Gesetz ab - ein Gesetz, welches über die Krankenhausversorgung in Deutschland bestimmen wird. Wir sind im Krankenhaussektor in einer Krise, die man in ehrlichen Worten beschreiben muss. Die Situation ist folgende: Die Krankenhausversorgung ist sehr teuer. Wir haben die teuerste Krankenhausversorgung in Europa. Wir haben mittelmäßige Qualität bei vielen wichtigen Eingriffen, zum Beispiel in der Krebsbehandlung. Jedes dritte Bett steht leer. Ein Drittel der Krankenhäuser macht Defizite. Und wir haben ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung.
Daher ist fast kein Wissenschaftler der Meinung, dass wir die Reform nicht benötigen. Die Reform wird unterstützt von der Deutschen Krebsgesellschaft, von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, von zahlreichen Fachgesellschaften und vom Verband der Universitätsklinika Deutschlands. Daher haben wir heute über eine Reform abzustimmen, womit im Prinzip darüber entschieden wird: Bekommen wir eine moderne, qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung, oder schaffen wir das nicht? Es ist eine wichtige Abstimmung. Wir brauchen diese Reform, und zwar jetzt.
Ich will die Defizite anhand von Beispielen für Unterversorgung, Überversorgung und Fehlversorgung benennen.
Wir haben zum Beispiel eine Unterversorgung in der Kinderversorgung; wir haben zum Teil eine Unterversorgung in der Geburtshilfe; wir haben auch eine Unterversorgung in der Versorgung von Schlaganfallpatienten. Zum Teil dauert es 50 Minuten, bis ein Patient nach einem Schlaganfall in einer geeigneten Einrichtung versorgt werden kann. Diese Unterversorgung kostet Menschenleben - jeden Tag.
Gleichzeitig haben wir eine Fehlversorgung in der Krebsbehandlung. Wir haben im Umfeld der Uniklinik Köln 85 Kliniken, die Patienten mit Darmkrebs versorgen. Viele dieser Kliniken haben wenige Fälle und sind nicht spezialisiert. Kein Arzt würde sich selbst jemals in einer solchen Klinik behandeln lassen. Ich sage es hier in aller Klarheit: Die Krebsbehandlung muss gut und spezialisiert sein; sie muss so gut sein, dass an jedem Ort, wo Krebs behandelt wird, sich auch Ärzte behandeln ließen. Das schulden wir den Patienten. Das können wir. Das ist längst überfällig. Und das wird diese Reform erreichen.
Wir haben eine Überversorgung zum Beispiel bei Knieprothesen. Die Menschen, die eine Knieprothese benötigen, werden zum Teil von den Kliniken als sogenannte Cashcows gesehen; denn das ist ein lukrativer Eingriff. Zum Teil ist es schneller möglich, ein Kniegelenk austauschen zu lassen - auch wenn es vielleicht gar nicht notwendig ist -, als dass Sie einen Termin beim Physiotherapeuten für die Kniebehandlung bekommen. Das kann nicht richtig sein. Es ist falsch und herabwürdigend und unethisch, dass wir Menschen, die eine Hüftgelenkoperation oder eine Kniegelenkoperation bekommen, als Cashcows der Kliniken betrachten. Die Kliniken müssen auch überleben können ohne diese starken wirtschaftlichen Anreize. Sie sollen nur noch das machen, was auch medizinisch sinnvoll ist, und nicht das, was ihnen Geld bringt.
Diese Reform wird eine Umstellung mit sich bringen, eine Umstellung weitestgehend weg von den Fallpauschalen hin zu Vorhaltepauschalen. 60 Prozent des Budgets werden über Vorhaltepauschalen finanziert. Und diese 60 Prozent werden von den Ländern so verteilt, dass das Nebeneinander von Überversorgung, Fehlversorgung und Unterversorgung beseitigt werden kann.
Ein Land kann zusätzliche Kapazitäten für die Schlaganfallversorgung aufbauen und Überkapazitäten bei der Versorgung von Kniegelenksprothesen abbauen. Die Länder bekommen die Möglichkeit, das tatsächlich so zu steuern, dass es dem Bedarf entspricht. Wir haben hier einen ökonomischen Wildwuchs, den wir akzeptiert haben. Die evidenzbasierte Medizin muss wieder im Vordergrund stehen. Das kann diese Reform bei besserer Qualität erreichen.
Die Qualität erhöhen wir, indem wir Vorgaben machen, zum Beispiel drei Fachärzte für die Leistungsgruppen. Hier haben wir keine Zugeständnisse gemacht. Wir haben aus NRW die Qualitätskriterien übernommen, zum Beispiel, wie schon gesagt, die drei Fachärzte für die Leistungsgruppen. Was wir aber nicht gemacht haben und in NRW möglich ist, ist, dass man jeden Facharzt bis zu zehnmal zählen kann. Dann können wir uns das Ganze auch sparen. Das heißt, wir haben keine Kompromisse bei der Qualität gemacht; das ist auch notwendig. Die Qualität war das Kernziel dieser Reform. Bei einer Verwässerung der Qualität würden wir diese Reform nicht machen.
Lassen Sie es mich klar sagen: Diese Reform schützt und rettet auch die kleinen Häuser auf dem Land, die wir dringend benötigen. Hier gibt es Zuschläge. Die kleinen Häuser auf dem Land bekommen eine Existenzgrundlage. Als sektorübergreifende Versorgung bekommen sie kostendeckende Vollverträge, und sie werden von zahlreichen Qualitätskriterien ausgenommen, wenn sie dann auf die komplizierten Eingriffe verzichten. Das ist eine Win-win-Situation.
Die Häuser können überleben, indem sie das machen, was sie besonders gut können: die kleinen Eingriffe, die kleine Versorgung, die dann auch auskömmlich bezahlt werden. Aber sie müssen nicht mehr die komplizierten Eingriffe zulasten der Patienten machen, die kein Arzt für sich selbst dort jemals in Anspruch nehmen würde.
Lassen Sie es mich zum Schluss ganz offen sagen: Wir haben zu viele Krankenhäuser; das ist einfach so. Wir haben ein paar Hundert Krankenhäuser zu viel. Aber was wir wollen, ist ein Umbau des Systems. Die Häuser, die wir benötigen, die Häuser auf dem Land, die eine gute Qualität haben, die wollen wir mit dieser Reform schützen. Wir wollen dort abbauen, wo wir eine Überversorgung haben.
Wenn wir diese Reform nicht beschließen würden oder die Länder sie im Bundesrat blockieren, dann werden wir ein beispielloses Krankenhaussterben haben. Dann werden die Krankenhäuser zuerst ausscheiden, die gute Qualität bringen, weil gute Qualität derzeit nicht ausreichend bezahlt wird. Das muss abgewendet werden. Daher bitte ich um Zustimmung für diese wichtige, historische Reform im Krankenhaussektor.
Ich danke Ihnen.