Lauterbach: Pflege steht vor großen Herausforderungen
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach spricht im Bundestag zur 1. Lesung des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG)
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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beschäftigen uns heute mit der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Die Langzeitpflege steht vor wichtigen, vor schweren Herausforderungen. Zum einen benötigen immer mehr Menschen die Langzeitpflege; das ist seit Jahren zu beobachten. Die Tarife steigen; es wird in der Pflege besser bezahlt. Darüber hinaus leben die Menschen, die in der Pflege versorgt werden, auch länger. Das alles sind gute Nachrichten: mehr ältere Menschen, die die Pflege bekommen können; bessere Bezahlung, mehr Ausgaben für diejenigen, die dann später in höhere Pflegegrade übergehen - alles gute Nachrichten.
Die Gründe für die Kostensteigerung sind solche, die wir ausdrücklich begrüßen, weil sie ein Mehr an Lebensqualität, eine Verbesserung der Versorgung, eine bessere Bezahlung bedeuten. Somit darf man in diesem Bereich nicht den Fehler machen, mangelnde Effizienz zu kritisieren. In vielen Bereichen haben wir Kostensteigerungen, bei denen man sagen kann: Da ist ein Mangel an Effizienz. Das ist in der Pflegeversicherung nicht so. In der Pflege wird ausgesprochen effizient gearbeitet, die Qualität ist hoch, aber das System braucht einfach mehr Geld. Daher ist das eine wichtige Debatte, und ich bitte Sie, die Debatte auch in diesem Sinne zu führen.
Ich möchte hier vorab allen Pflegekräften, die in Deutschland diese Arbeit machen - wie gesagt, ich kenne viele persönlich -, für diese hervorragende Arbeit danken. Das ist eine Arbeit, die in einem System geleistet wird, das in der Tendenz unterfinanziert ist. Viele Menschen, die sich für einen Beruf in der Pflege entschieden haben, bringen sich mit ihrem Leben ein. Wir werden bei den bevorstehenden Reformen alles tun, um diese Menschen zu unterstützen und die Pflege zu gewährleisten. In diesem Sinne will ich die heutige Debatte geführt wissen.
Ich beginne mit ein paar Zahlen und ein paar Missverständnissen, weil wir nachher ein paar Dinge hören werden, die nicht richtig sind. Ich will vorab sagen, weshalb sie nicht richtig sind; denn dann können wir konstruktiver miteinander umgehen.
Zunächst einmal: Die Pflegeversicherung braucht mehr Geld. Wir werden 6,6 Milliarden Euro mehr für das Jahr 2024 zur Verfügung stellen. 2,6 Milliarden Euro beträgt das Defizit, das wir aus der Vorgängerlegislaturperiode geerbt haben. 2 Milliarden Euro sehen wir für eine Verbesserung der Leistung und 2 Milliarden Euro für eine bessere Bezahlung der Leistungen, die es schon gibt, vor. So ist das ungefähr aufgeteilt.
Jetzt kann man sagen: Das ist ja noch nicht mal der Inflationsausgleich, da wird die Pflege kaputtgespart. - Das ist falsch; das werden wir gleich hören. Die Inflation beträgt etwa 7,8 Prozent, und das sind 11 Prozent mehr. Da kann man sagen: Es ist zu wenig. Aber 11 Prozent mehr kann man nicht kleinreden. Man muss auch schauen: Das Budget der Pflegeversicherung ist seit dem Jahr 2017 von 35 Milliarden Euro pro Jahr auf jetzt 66 Milliarden angestiegen.
Wir haben derzeit eine Verdopplungszeit der Kosten in der Pflege von ungefähr acht Jahren. In keinem anderen Bereich steigt die finanzielle Belastung stärker als in der Pflege, bei Weitem nicht so stark in der Rentenversicherung und auch nicht in der Gesundheitsversorgung. Die Pflege ist der am stärksten wachsende soziale Bereich, und er ist unterfinanziert. Aber man muss auch ehrlich sagen: Die Steigerung von 35 Milliarden Euro auf 66 Milliarden Euro in sieben bis acht Jahren war sehr wichtig. Dafür danke ich allen, die diesen Weg mit uns gemeinsam gegangen sind und auch weiter gehen werden.
Ich möchte auch ausdrücklich darauf hinweisen: Wir müssen den Beitragssatz dafür um 0,35 Beitragssatzpunkte erhöhen. Da wird immer vorgetragen - das höre ich jeden Tag -: Das ist viel zu viel, und eine Erhöhung um 0,4 Punkte ist gar nicht diskutabel.
Man muss sich das anschauen: Wenn man meinetwegen von Lohnerhöhungen von etwa 5 Prozent ausgeht oder 4,3 Prozent Rentenerhöhung und wenn man die Zusatzbelastung dieser 0,35 Prozent auf den Arbeitnehmer berechnet, dann gehen ihm 2 Prozent der Erhöhung verloren. 2 Prozent von der Erhöhung geben wir dann für diesen Bereich aus.
Da sage ich an dieser Stelle ehrlich: Mir wäre sogar mehr recht gewesen, weil die Pflege das wert ist. Die Verbesserung der Pflege ist es wert, dass wir einen kleinen Teil - es sind weniger als 2 Prozent - dessen, was wir mehr bekommen, auch mit der Pflegeversicherung teilen. Daher ist das eine maßvolle Erhöhung. Sie wird paritätisch vergütet.
Wenn in den Debatten herauskommt, dass noch andere Mittel dazu kommen, beispielsweise Steuermittel, dann ist alles gut. Aber ich glaube, dass das eine Basis ist, von der man ausgehen kann.
Wichtig ist, dass nicht alles zerredet wird. Wir dürfen nicht den Fehler machen, alles zu zerreden. Wir können jederzeit über mehr reden; das werden wir auch machen. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen hier, aber ich warne davor, zwei Dinge zu machen, die falsch sind: so zu tun, als wenn die Pflege schlecht wäre - das ist sie nicht -, und so zu tun, als wenn jetzt gar nichts vereinbart wäre. Vielmehr sind es 6,6 Milliarden Euro mehr in einem Jahr - das ist wichtig, das brauchen wir -; das Pflegegeld steigt um 5 Prozent. Das sind im Durchschnitt für die 2,5 Millionen Leute, die das bekommen, 270 Euro mehr im Jahr. Die Ausgaben für die ambulanten Sachleistungen steigen auch um 5 Prozent. Das sind 580 Euro pro Jahr für jeden, der betroffen ist.
Auch die Zuschüsse erhöhen wir. Die Vorgängerregierung hat die Zuschüsse eingeführt. Das hat immer meine Billigung und meine Zustimmung bekommen. Ich bin nicht derjenige, der sagt, nur weil das meinetwegen von Jens Spahn eingeführt worden ist, ist das eine schlechte Idee; denn das war richtig. Wir werden das fortführen und diese Zuschüsse sogar erhöhen. Das war ein richtiger Aufbruch. Ich hätte mich gefreut, wenn es auch finanziert gewesen wäre; aber alles gut. Das machen wir jetzt. Aber der Schritt war richtig, und wir gehen weiter in diese Richtung.
Ich komme zum Schluss. Klar ist - das wird von mir hier nicht beschönigt oder verschwiegen -: Was die langfristige Finanzierung der Pflege angeht, sind wir an einem Wendepunkt. Das jetzige System kann man nicht dauerhaft so weiter ausbauen, wie wir es bis jetzt gemacht haben. Es muss anders gemacht werden.
Darüber werden wir in den parlamentarischen Beratungen eine Debatte führen. Wir werden im nächsten Jahr als Bundesgesundheitsministerium dazu auch einen Vorschlag machen - das stimmen wir mit anderen Ressorts ab -, und da werden dann auch Fragen gestellt werden, zum Beispiel: Brauchen wir mehr Steuern? Dann muss aber auch gesagt werden, welche Steuer erhöht wird, weil das aus den derzeitigen Steuern nicht bezahlbar ist. Wenn wir mehr Steuern wollen, dann muss man sagen, welche Steuer kommt.
Wir werden darüber reden, wie wir die Beitragssätze staffeln. Wir werden darüber reden, ob wir in Richtung Vollkaskoversicherung gehen, was ich richtig fände. Alles ist offen.
Vielleicht gehen wir auch in Richtung Bürgerversicherung. Auch diese Diskussion fiele mir nicht schwer.
Ich danke auf jeden Fall allen, die bisher mitgearbeitet haben. Wir gehen offen daran. Ich hoffe, wir haben eine gute Debatte. Wie gesagt, ich bin ganz sicher: Wir werden zum Schluss eine Reform aus einem Guss haben, hinter der wir alle stehen können.
Ich danke Ihnen allen für die vorzügliche Aufmerksamkeit.